Blutfehde
von mir aus jedem, von dem Sie glauben, dass er Ihnen helfen kann, Carol.« Ich stand auf, wohl wissend, dass ich heute auf der Feinfühligkeitsskala Punkte verlieren würde. »Drohungen ziehen bei mir nicht, also würde ich vorschlagen, dass Sie jetzt nach Hause gehen und mich meine Arbeit machen lassen. Sie sind doch unbehelligt nach Hause gekommen, oder?«
»Ich musste in dem verdammten Deli warten, bis mich ein Nachbar abgeholt hat. Der Polizei wäre es wohl egal gewesen, wenn ich die ganze Nacht dort hätte verbringen müssen.« Sie stand ebenfalls auf und kramte einen Lippenstift aus ihrer Handtasche.
»Das ist lächerlich, Carol. Die Polizei gibt sich große Mühe. Ich werde noch mal mit den Cops sprechen, aber wegen letzter Nacht müssen Sie sie entschuldigen. Wohin gehen Sie jetzt?«
»Zurück ins Büro.«
»Würden Sie sich besser fühlen, wenn ein Detective Sie hinbringt?«
»Ja, das wäre toll.«
»Dann warten Sie draußen, in Ordnung?«
Ich brachte sie, vorbei an Lauras Schreibtisch, nach draußen, ging dann wieder in mein Büro und schloss die Tür hinter mir. Ich wählte die Nummer von Steve Marron von der hauseigenen Ermittlungseinheit, ein Stockwerk über mir. »Steve, haben Sie zwanzig Minuten Zeit?«
»Jedes Mal, wenn ich Ihnen zwanzig Minuten gebe, kommt eine Stunde dabei heraus. Fünf. Zehn Stunden.«
»Kommen Sie runter. Sie müssen eine Zeugin in ihr Büro in der Wall Street fahren. Bitten Sie Joe Roman, sich unten vor den Eingang zu stellen und sich die junge Frau, die mit Ihnen rauskommt, gut einzuprägen.«
»Bin schon unterwegs, Alex.«
Als Steve Marron an meine Tür klopfte und eintrat, erklärte ich ihm die Situation. »Joe soll sie überwachen. Ich will nicht auf ihren nächsten Anruf warten. Joe soll ihr heute Abend vom Büro nach Hause folgen. In den nächsten Tagen auch umgekehrt, von der Wohnung zur Arbeit. «
»Hat man ihr denn nicht schon jemanden zugeteilt?«
»Ja, aber ich will nicht, dass sie es mitkriegt. Die anderen Detectives kennt sie. Ich will jemanden, den sie nicht kennt. Wenn sie die Wahrheit sagt, hat der Stalker die Cops wahrscheinlich schon längst identifiziert.«
»Und wenn sie nicht die Wahrheit sagt?«, fragte Steve. »Verdrehen Sie jetzt nicht die Augen.«
»Wir müssen davon ausgehen. Wir müssen es versuchen.«
Kaum eine Ermittlung war so frustrierend wie ein Stalkingfall. Die Opfer hatten verständlicherweise Angst vor Kriminellen oder psychisch Gestörten, die ihnen vor der Wohnung oder ihrem Arbeitsplatz auflauerten, sie monatelang verfolgten, oft ohne zu versuchen, sie in irgendeiner Art zu kontaktieren. Die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte hatten die Anzeigen traditionell damit abgetan, dass »nichts« passierte. Es war aber oft nicht vorhersehbar, wann die Sache eskalierte, und bis der Fall geklärt war, musste man zugunsten des Opfers handeln. Die Bedrohungsszenarien sprießten, seit Stalking vor knapp zehn Jahren als Straftat anerkannt worden war.
Ich stellte Carol und Steve Marron einander vor, brachte sie zum Aufzug und holte dann meine Jeans und bequeme Halbschuhe aus dem Büro, um mich in der Toilette umzuziehen.
Als ich ins Büro zurückkam, saß Artie Tramm an Lauras Schreibtisch und blätterte in der Cosmo, die auf einem Stapel Anklageschriften der Abteilung lag.
»Was gibt’s?«, fragte ich.
»Ich glaube, Sie haben beim Verlassen des Gerichtssaals etwas verloren. Ich dachte, ich bringe es Ihnen selbst vorbei.« Er reichte mir eine Visitenkarte mit einem handschriftlichen Vermerk auf der Rückseite.
Ich hatte heute Vormittag keine Visitenkarten bei mir gehabt, als ich nach oben in den Gerichtssaal gegangen war, und nahm sie verwirrt entgegen.
Der Name, der in einer kräftigen Handschrift geschrieben war, die ich sofort wiedererkannte, weil ich sie auf unzähligen, von Brendan Quillian unterschriebenen Dokumenten gesehen hatte, sagte mir nichts: Lawrence Pritchard.
Ich drehte die Karte um und war überrascht, das Logo von Keating Properties zu sehen. Ich reichte sie Artie mit rotem Kopf zurück. »Kommen Sie, Artie. Sie wissen genau, dass diese Karte nicht mir gehört. Wir gehen besser zurück zum Richter und geben es zu Protokoll. Sie könnte Brendan Quillian gehören.«
»Sie gehört niemandem. Ich sagte doch, ich habe sie vom Fußboden aufgesammelt. Sie gehört in den Abfall, oder nicht?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Außerdem ist Gertz schon weg und kommt erst am Montag nach der Beerdigung wieder. In der
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