Blutfehde
es dauerte nicht lange, da waren die Bäche durch tierische Kadaver und menschliche Abfälle total verseucht«, sagte Golden. »Hinzu kamen noch ein paar Seuchen. So wurde durch die Gelbfieberepidemie in den 179oer-Jahren, der sporadisch auftretenden Typhusepidemien folgten, die Aufmerksamkeit der Stadtväter zum ersten Mal auf die Sauberkeit des Wassers gelenkt. Aber erst die Choleraepidemie in den 183oer-Jahren hat sie dann endlich wachgerüttelt.«
Es war mir peinlich, dass ich mir darüber nie Gedanken gemacht hatte. Ich wusste, dass Cholerapatienten unter extremem Durst litten und dass die Krankheit ironischerweise von verseuchtem Wasser verursacht wurde.
»Wissen Sie, wie viele New Yorker im Jahr 1832 an Cholera starben?«, fragte Golden.
»Keine Ahnung«, sagte ich.
»Über dreitausendfünfhundert. Sie flohen zu Tausenden aufs Land, um eine weitere Ausbreitung der Seuche zu verhindern. Damals gab es in der ganzen Stadt kein sauberes Wasser mehr. Nicht einen Tropfen.«
»Und was hat man gemacht, um an Wasser ranzukommen?«, fragte Mercer.
»Dasselbe wie die Römer dreihundert Jahre vor Christus. Wir orientieren uns nach wie vor an den von Sklaven errichteten elf römischen Aquädukten, die alle auf dem Gesetz der Schwerkraft beruhen, nach dem Wasser nach unten fließt. Auf diese Weise konnten täglich Millionen Liter Wasser aus den Flüssen und Seen der weiter entfernten Hügel in die Stadt geleitet werden.«
»Ergo die Croton-Wasserscheide«, sagte Mike. Das heutige Croton-System bestand aus zwölf Wasserreservoirs in Westchester County, die sich aus dem Croton River speisten.
»Genau.«
»Aber das ist fast achtzig Kilometer nördlich der Stadt«, sagte Mercer.
»Diese Entfernung ist gar nichts im Vergleich zu den ersten römischen Aquädukten«, sagte Golden. »Der Croton River entspringt viel weiter nördlich, in Dutchess County. Die Wasserscheide erstreckt sich über ein Gebiet von neunhundert Quadratkilometern und liefert täglich eine Milliarde Liter Wasser.«
Mike pfiff leise durch die Zähne. »Und wie kommt es nach New York?«
»Zuerst musste man den Fluss eindämmen, indem man die Siedlungen und das Farmland hektarweise flutete. Für die Menschen, die sich in diesem fruchtbaren Teil des Staates niedergelassen hatten, war das eine absolute Katastrophe. So macht es die Regierung heute noch - sie beruft sich auf das Enteignungsrecht und zahlt den Leuten einen Apfel und ein Ei. Man verlegte kilometerlange Pipelines in südlicher Richtung durch das Westchester County, bohrte sich durch Felsen und Täler, und das Wasser wurde allein mittels Schwerkraft bergab transportiert und erreichte Manhattan auf äußerst beeindruckende Art und Weise über die High Bridge.«
Dieses grandiose Bauwerk, die älteste noch existierende Brücke zwischen der Insel und dem Festland, musste zum Zeitpunkt ihrer Entstehung, in den 184oer-Jahren, spektakulär gewesen sein. Sie bestand aus fünfzehn eleganten Bogen, die den römischen Aquädukten entlehnt waren, und leitete das Wasser über den Harlem River nach New York County.
»Wie dick waren diese Leitungen?«, fragte Mike.
»Nur zweieinhalb Meter.«
»Und wie wurde das Wasser verteilt, wenn es hier in Manhattan ankam?«, fragte ich.
»Nun, es floss in ein Auffangbecken, das einer riesigen Festung ähnelte und fast siebenhundert Millionen Liter Wasser fassen konnte.«
»Und wo war das?«
»In York Hill. Wissen Sie, wo das ist, Alex? Das Land gehörte einem Herrn namens William Mathews, damals wie heute war es in bester Immobilienlage.«
Mir sagte der Name nichts, aber Mercer lachte. »Ein Afroamerikaner, wenn ich mich nicht irre. Dekan der African Union Methodist Church, in den 184oer-Jahren. Die Gegend war das damalige Harlem.«
»Wo ist das?«, fragte ich.
»Mitten im Central Park«, antwortete Golden. »Das Auffangbecken versorgte Manhattan mit Süßwasser, bis man es im Jahr 1940 trockenlegte und auffüllte, um an der Stelle den Great Lawn anzulegen.«
»Das ist erst ein paar Generationen her? Unglaublich!«
»Gehen wir noch einen Schritt weiter. Das Wasser floss von dort in Richtung Downtown in ein Verteilerbecken, von dem aus es in die einzelnen Haushalte und Geschäfte geleitet wurde. Fifth Avenue und 42. Straße. Wo jetzt die New York Public Library ist, war einmal eine riesige Festung mit Wasser.«
»Und auf diesem Weg kommt es seit fast zwei Jahrhunderten zu uns«, sagte Mercer.
Golden strich sich über seine Adlernase und nickte. »Croton
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