Blutfeuer
bis zum Hals in zwei blutige Teile gespalten war.
Sein Kumpan war ähnlich zugerichtet. Der linke Arm war vom Körper säuberlich
abgetrennt, hielt aber noch die Taschenlampe in der Hand. Der Brustkorb des
Chinesen wies eine etwa dreißig Zentimeter lange Öffnung auf, die mehrere
Zentimeter auseinanderklaffte. Der Boden des Sandsteins dampfte vom vielen
warmen Blut. Während sie über die verstümmelten Körper hinwegstiegen, musste
Gerlinde Rosenbauer aufpassen, auf dem glitschigen Boden nicht auszurutschen.
Sie war ausgesprochen froh, als sie die grauenhafte Szenerie hinter sich
gelassen hatte. Fassungslos betrachtete sie den vor ihr hin- und herwackelnden
Zwerg. Was um Himmels willen steckte da nur in dieser kleinen Gestalt? Auf
jeden Fall hatte sie die Fähigkeiten Gimlis unterschätzt. Wie betäubt lief sie
weiter durch den Gang dem kleinen Führer hinterher. Gerade als sie ihrer
Tochter erlaubt hatte, wieder ihre Augen zu öffnen, blieb Gimli abrupt stehen
und legte den Finger auf den Mund. Er stellte die Lampe auf den Boden und
schloss die Augen. Seine großen Nasenflügel blähten sich, während er vernehmbar
die Lungen voller Höhlenluft sog. Als er seine Augen wieder öffnete, konnte
Gerlinde sehen, dass sie angsterfüllt geweitet waren.
»Was ist los, Gimli?«, fragte sie nervös. Sie konnte partout nichts
Gefährliches bemerken.
»Gimli riechen«, sagte der Zwerg plötzlich sehr besorgt. Die
Selbstsicherheit, die er eben noch an den Tag gelegt hatte, war wieder von ihm
gewichen. »Riechen böse«, sagte er fast panisch. »Böse kommt. Müssen weg. Böse
kommt!« Damit schien er seinen Entschluss gefasst zu haben. »Gehen schnell.
Gehen leise«, flüsterte er und zog Gerlinde an der Hand hinter sich her. Und
zwar genau in die Richtung, aus der er gerade noch die Bedrohung gerochen
hatte.
So schnell er konnte, war der Bärtige dem langen Stollen zur
Altenburg gefolgt. Bereits seit längerer Zeit war kein Laut mehr zu hören
gewesen. Sein siebter Sinn sagte ihm, dass etwas nicht stimmen konnte. Wäre die
Angelegenheit in seinem Sinne erledigt worden, hätte er schon längst das
Gemaule von Udo Kümmel oder die Chinesen hören müssen. Aber es war totenstill.
Fast lautlos bewegte er sich vorwärts, die Taschenlampe vor sich in den Gang
gerichtet, die Waffe im Anschlag. Egal, wen oder was er hier antreffen würde,
auf Diskussionen würde er sich nicht einlassen. Die Zeit des Aufräumens war gekommen.
Ein Bluttag.
Er stockte. Da, vor ihm im Gang, war etwas. Er spürte es genau. Im
Laufe seines Lebens hatte er gelernt, in kritischen Situationen auf seine
Intuition zu hören, die ihm bereits mehrfach das Leben gerettet hatte. Und
diese Intuition sagte, nein, sie brüllte ihm jetzt ins Ohr: Pass auf! Es lauert
etwas da vorn! Pass auf!
Zwar konnte er selbst im Schein der Lampe nichts erkennen, doch hier
unten galt es, auf alle Sinne zu achten. Er ging auf die Knie und kroch langsam
und lautlos um die Ecke, die Waffe vor sich gestreckt, auf das Unvermeidliche
vorbereitet.
Haderlein stellte den Landrover ganz offiziell auf dem Parkplatz des
Klinikums ab. Mit ihm verließen Lagerfeld, Riemenschneider und
Katastrophen-Müller das Fahrzeug. Seiner Manuela gab er den Schlüssel und
nötigte sie, den Freelander zur Dienststelle zurückzufahren. Für sie wurde es
jetzt definitiv zu gefährlich.
Als sie das Gelände verlassen hatten, gingen sie zusammen auf den
Eingang des Klinikums St. Getreu zu. Lagerfeld wusste noch immer nicht, was der
Kriminalhauptkommissar eigentlich vorhatte. Auf sein ungeduldiges Nachfragen
hin hatte Franz Haderlein gelächelt und sich wieder nur äußerst nebulös
geäußert.
»Wir werden jetzt die Ameisen aufscheuchen, Bernd. Auf dass sie uns
mit ihren Pheromonen betören mögen.« Das war’s. Mehr hatte er dazu nicht zu
sagen gehabt, und Hilfssheriff Lagerfeld war genauso schlau gewesen wie zuvor.
Franz Haderlein ging überraschend lässig mit ihnen zu den
Schwestern, die den Besucherverkehr im Eingangsbereich regelten.
Was will er denn jetzt bei diesen Empfangsmiezen? Herrgott!, dachte
Lagerfeld verwirrt. Eigentlich hatte er damit gerechnet, endlich diesen
Waldmüller mit seinem Wurmfortsatz Eichberg verhaften zu dürfen, aber das würde
ganz sicher nicht klappen, wenn man wie ein Pfau in den Eingangsbereich des
Klinikums hineinspazierte. Und Haderlein machte weiterhin den Eindruck, als
hätte er das Wort »Diskretion« noch nie in seinem Leben gehört. Fröhlich winkte
er der
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