Blutflecken (Ein Lucy-Guardino-Thriller) (German Edition)
gefunden.
»Es ist nicht sehr kalt«, sagte Colleen, obwohl sie selbst fröstelte. »Vielleicht haben sie irgendwo Schutz gefunden.«
»Es sind kluge Jungs. Sie haben gesagt, dass Martys Vater ihn mit zum Camping genommen hat und ihm alles über die freie Natur beigebracht hat.«
»Wenn er zu Hause war. Bevor er …« Eine Träne kullerte aus Colleens Auge und gefror zu einem diamantenen Glitzern. Lucy wurde auf einmal von dem Bedürfnis überfallen, sofort zu Hause anzurufen und Megan aufzuwecken. Einfach nur, um ihre Stimme zu hören, egal, wie sehr sie quengelte. Aber sie würde das nicht vor Colleen tun. Die Frau hatte schon zu viel durchgemacht.
Die Einweisung der neuen Rettungskräfte war vorüber, und der Parkplatz füllte sich schnell mit Zivilisten, die sich aus Thermoskannen Kaffee einschenkten, Karten studierten und sich extra dick einpackten. Sie machten sich bereit dafür, ins Gelände zu gehen. Die Suche würde auch in eine Bergschneise führen, eines der besten Jagdreviere der Umgebung, weswegen die Polizei orangene Signalwesten verteilte. Allerdings besaßen die meisten Bewohner der Gegend ihre eigenen Westen. Die Bürger wurden aufgefordert, ihre Waffen zurückzulassen. Man wollte unbedingt vermeiden, dass ein paar aufgedrehte Zivilisten mit geladenen Schusswaffen so taten, als seien sie einem Serienmörder aus dem Fernsehen auf der Spur, wenn sie eigentlich nach zwei Jungen suchen sollten, die wahrscheinlich Todesängste ausstanden.
Die Medien rückten weiterhin New Hopes Vergangenheit als »Schutzhafen eines Monsters, das die einheimischen Höhlen zu seinem Schlachthof gemacht hatte« in den Vordergrund. Um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen, sorgte Lucy dafür, dass ihre und Jennas FBI-Zugehörigkeit nicht publik gemacht wurde. Es handelte sich lediglich um die Suche nach zwei vermissten Jungen. Mehr nicht. Aber warum öffnete sie dann immer wieder den Reißverschluss ihres Parkas und fühlte sich nur dann sicher, wenn ihre Hand auf der Waffe lag?
Kapitel 23
Nach der langen Nachtschicht machte Jenna sich in der Mädchenumkleidekabine der Schule frisch. Dort streifte sie sich auch ein paar zusätzliche Lagen Kleidung gegen die Kälte über. Gail lieh ihr ein Sweatshirt, das nach einer kürzlich stattgefundenen Benefizveranstaltung in der Schule übrig geblieben war. Es war limettengrün und auf der Vorderseite prangte ein gebatikter Regenbogen. Aber einem geschenkten – oder geliehenen – Gaul schaut man nichts in Maul, dachte Jenna, und schlüpfte hinein. Es war egal, wie sie aussah. Sie war nichts weiter als eine überbezahlte Freiwillige, die noch nicht einmal ihre Waffe bei sich trug. Das Sweatshirt half nicht viel. Als sie aus den Umkleideräumen in die Turnhalle trat, fror sie nur ein bisschen weniger.
Die Einweisung der nächsten Suchmannschaft ging gerade zu Ende, und alle marschierten startbereit nach draußen. Jenna kämpfte sich durch das ihr entgegenkommende Gewühl an einen der Tische am andere Ende der Turnhalle vor, wo es Donuts, Kaffee, heiße Schokolade, Wasser, Bagels, hausgemachte Muffins, Kekse und sogar einen Apfelkuchen gab. Die Schichten aus Apfelscheiben, Karamell und einer perfekten Kruste aus Zimtguss sahen so schmackhaft aus, das Jenna nicht widerstehen konnte. Sie schnitt ein großes Stück ab, was ihr das wohlwollende Nicken einer Frau einbrachte, die in einem schlichten grauen Kleid hinter dem Tisch stand. Eine kleine Haube hielt ihr das Haar aus der Stirn.
»Milch?«
Jenna nickte und schaufelte sich den Kuchen in großen Stücken in den Mund. Okay, vielleicht war diese Gegend kalt und grau und ohne erkennbare Anzeichen von Zivilisation, aber die Leute hier wussten verdammt noch mal, wie man einen guten Kuchen backt. Sie trank gierig die Milch, wischte sich über die Lippen und überlegte, ob es zu gierig wirkte, wenn sie sich ein weiteres Stück einverleibte.
Die Türen am hinteren Ende der Turnhalle führten auf einen geteerten Hof, an den sich die Sportplätze anschlossen. Jenna warf Teller und Becher in den Müll und lehnte sich an den Türrahmen. Durch das Fenster in der Tür starrte sie auf die unberührte Schneedecke. Weiß auf weiß auf weiß. Die Monotonie wurde nur von der entfernten braun-grünen Baumgrenze durchbrochen, die in den grauen Schleier auslief, der den Berg einhüllte. Jenna vermisste ihre tägliche Dosis Stadt-Smog. Auf einmal bewegte sich etwas. Ein nach vorn gebeugter Mann schob sich an der Mauer des Schulgebäudes entlang
Weitere Kostenlose Bücher