Blutflucht - Evolution
gelegt, mit der Anweisung, mein Aussehen entsprechend meiner neuen ID-Daten zu verändern. So hatte Jack mir geholfen, meine geliebten langen Haare auf Schulterlänge abzuschneiden und sie dunkelbraun zu färben. Es sah nicht einmal schlecht aus, dennoch würde ich meine Mähne vermissen. Laut der neuen Daten war ich jetzt eine geschiedene Frau. Also frei für Jack, dachte ich amüsiert.
Mein Magen verlangte wieder nach einer dieser Pillen gegen Seekrankheit. Ich schlich die Leiter hinunter, um im schwachen Lichtschein, der durch das Bullauge fiel, in meinem Rucksack nach einer weiteren Tablette zu suchen. Mein Blick schweifte nach draußen. Am Himmel leuchtete groß und voll der gute alte Mond. Sein bleiches, bläuliches Licht überzog das schwarze Meer mit einem glitzernden Silberteppich. Es war ein Bild wie im Märchen. Magisch, verzaubernd. Die blaue Farbe kam von feinen Aschepartikeln in der Atmosphäre, die der Vulkanausbruch hinterlassen hatte. Doch das würde sich bald legen.
Viele Menschen glaubten, der blaue Mond stünde für einen Wechsel, für einen Neuanfang. War er ein Zeichen? Ich wünschte es mir so sehr. Hatte MALVE deshalb den blauen Mond zu ihrem Symbol auserkoren? Er war ihr Erkennungszeichen. Das stand in den Unterlagen, die Ron uns überlassen hatte.
Erneut schaute ich nach oben. Blue Moon … Ob Jacks Lieblingscocktail nach dem Mond benannt worden war?
Ich lauschte dem Auf und Ab der Wellen, die heftig an den Mast klatschten, der zielstrebig auf Otumi zusteuerte, und inhalierte die kühle Nachtluft, die in die Kabine hineinwehte.
Dieser friedliche Augenblick zog mich eine Weile in seinen Bann und ließ mich meine Magenschmerzen vergessen.
Plötzlich stöhnte Jack hinter mir auf, weshalb ich sofort zu ihm herumwirbelte. Im schwachen Lichtschein erkannte ich auf seiner Stirn unzählige Schweißtropfen. Sein Atem ging schnell. Er träumte sichtlich etwas Furchtbares, also berührte ich vorsichtig seine Schulter, um ihn von diesem Albtraum zu erlösen. Da geschah etwas Merkwürdiges. Ich sah, was Jack gerade träumte!
Er rannte mit mir an der Hand durch unendlich lange, verwinkelte Korridore. Es war unverkennbar das Krankenhaus, in dem Jack gefoltert wurde! Beide trugen wir nur unsere Unterwäsche: Jack seine schwarzen Shorts und ich einen Schlüpfer und das fliederfarbene Hemd, das ich mir angezogen hatte, als er mich damals im Bad überraschte. Immer wieder sah er sich um. Hinter uns lief Dr. Harcourt. Mit seinem blutgetränkten Kittel zog er eine rote Spur hinter sich her, während er uns verfolgte. Sein Gesicht war zu einer grauenvollen Fratze verzerrt. Obwohl wir wie die Wahnsinnigen liefen, kamen Jack und ich kaum vom Fleck. Der Doktor hatte uns schon fast erreicht. Seine Hände sahen aus wie die Klauen eines Aasgeiers und anstatt seiner Fingernägel kamen scharfe Skalpellklingen aus seinen Krallen. Jack wusste, dass der Arzt hinter mir her war und es kein Entkommen gab.
Dr. Harcourt hatte mich fast erreicht, als Jack sich schützend vor mich warf, worauf der Arzt ihm seine rasiermesserscharfen Klauen in die Brust bohrte …
Jack schrie auf.
Ich beugte mich über ihn und rüttelte an seinen Schultern. »Wach auf, Jack, du träumst nur!«
Da riss er endlich die Augen auf. Er wirkte verwirrt. Als er erkannte, wo er war, setzte er sich im Bett auf und zog mich aufatmend in seine Arme. Er hielt mich so fest umschlungen auf seinem Schoß, dass ich sein rasendes Herz fühlte. Wäre jemand in diesem Moment in die Kabine gekommen, hätte er wohl vermutet, ein Paar beim Liebesakt zu erwischen. Schließlich waren wir beide so spärlich bekleidet wie eben in Jacks Traum.
»Kate, ich will dich niemals verlieren«, flüsterte Jack mit belegter Stimme in mein Ohr.
»Das wirst du nicht. Es war doch bloß ein Traum.« Mit diesen Worten beruhigte ich sein rasendes Herz und kuschelte mich zu ihm unter die Bettdecke. »Er ist tot, Jack. Er wird dir nie wieder wehtun.«
»Du weißt, was ich geträumt habe?« Er klang weniger erstaunt, als ich es gerade war.
»Ich hatte keine Ahnung, dass ich dazu in der Lage bin.« Das war die Wahrheit. Ich meine – eigentlich war es logisch, denn ich konnte auch Gedanken »sehen«. Dennoch, es verwunderte mich. Was wusste ich noch alles nicht über mich? Mit Jacks Hilfe würde ich das herausfinden, da war ich mir ziemlich sicher.
Jack zog mich an sich. Als ich in seinen starken Armen lag, sein Herz in seiner Brust klopfen hörte und seinen männlichen Duft
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