Blutflüstern: Novelle (German Edition)
Küche unter keinen Umständen betreten. Was bedeutete, dass ich gerade versuchte, diesen dämlichen Zauber ohne Robbies Hilfe hinzukriegen. Und genau deswegen wollte ich Runner werden. Ich wäre so verdammt gut, dass ich es mir leisten könnte, meine Zauber zu kaufen.
Ich verzog das Gesicht, als ich aufstand und auf den zu vollen Messbecher starrte. Dann warf ich einen kurzen Blick in Richtung Flur, bevor ich ihn an die Lippen hob und einen Schluck nahm. Der Alkohol brannte wie mein
Gewissen, aber als sich die Flüssigkeit wieder beruhigt hatte, war es genau die richtige Menge.
Befriedigt schüttete ich es in Moms Tiegel. Sie hatte ihn am Nachmittag mit einem feinkörnigen Schleifpapier bearbeitet, um alle Spuren früherer Zauber zu beseitigen, als wäre es nicht genug, ihn in Salzwasser zu tunken. Mom war begeistert gewesen, als ich sie darum gebeten hatte, ihre alte Zauberausrüstung verwenden zu dürfen. Es war mir – bei ihrem überenthusiastischen Wunsch mir zu helfen – schwergefallen, alles zu finden, was ich brauchte. Selbst jetzt konnte ich in ihrer Stimme die Aufregung darüber hören, dass ich mich für ihr Fachgebiet interessierte. Ihre forsche Stimme war lauter als gewöhnlich und hatte einen Unterton, den ich schon lange nicht mehr gehört hatte. Obwohl das vielleicht auch einfach daher kam, dass Robbie mal wieder zu Hause war.
Ich lehnte mich über das Buch und las die Notiz ganz unten auf der Seite. »Wein und heiliger Staub sind stets die nötigen Bausteine, um Geistern Körper zu verleihen«. Ich kratzte mir die Nase und warf einen kurzen Blick auf die Uhr. Es dauerte ewig, aber ich hätte alles getan, um noch mal mit meinem Dad reden zu können, selbst wenn der Zauber nur bis zum Morgengrauen hielt.
Es war schon fast elf. Robbie und ich würden bald aufbrechen müssen, um uns einen guten Platz am Fountain Square zu sichern. Meine Mom dachte, Robbie nähme mich mit auf das Takata-Konzert, tatsächlich aber brauchten wir einen ziemlichen Energieschub, um die Aktivierung des Zaubers zu unterstützen. Obwohl wir diese Energie auch auf dem Konzert finden konnten, war es einfacher, sich in die Energie einzuklinken, die von Hunderten
von Hexen ausgestrahlt wurde, die sich alle um Mitternacht auf das Schließen des Kreises konzentrierten.
Eigentlich hatte ich unbedingt zu dem Konzert gehen wollen. Ich betrauerte die verlorene Chance, als ich ein Stechpalmenblatt von der Tischdekoration abschnitt. Das sollte dem Zauber eine gewisse Aura des Schutzes verleihen. Anscheinend würde ich eine Tür öffnen, und die Stechpalme stellte sicher, dass mit der Essenz meines Dads nicht auch noch irgendetwas Übles hindurch huschte.
Meine Hände zitterten vor Nervosität. Ich musste das richtig machen. Und ich musste es schaffen, ohne dass Mom etwas davon erfuhr. Sollte sie Dads Geist sehen, würde es sie zerstören – zurückschleudern in den furchtbaren Zustand, in dem sie vor fünf Jahren gewesen war. Dad zu sehen würde schon mir schwer genug fallen. Aber nach der Beschreibung unter »gewünschte Ergebnisse« war ich mir nicht mal sicher, wie körperlich sein Geist sein würde. Wenn wir ihn nicht sehen konnten, würde Robbie mir niemals glauben, dass ich es richtig gemacht hatte.
Ich verwendete die silberne Schere meiner Mom, um das Stechpalmenblatt in kleine Stücke zu schneiden, bevor ich es in den Wein fallen ließ. Meine Finger zitterten immer noch, aber ich wusste, dass es Nervosität war; ich hatte nicht genug getan, um erschöpft zu sein, egal, wie schnell ich gewöhnlich ermüdete. Mit einer Hand packte ich den Tiegel, mit der anderen zerstieß ich mit aller Kraft die Stechpalmenstückchen. Die Erschütterungen drohten, die Zitronensaft-Eiben-Mischung umzuwerfen, die ich vorher abgemessen hatte, also stellte ich sie auf die Arbeitsplatte hinter mir.
Zitronensaft sollte die Aufmerksamkeit des Geistes erregen und ihn erwecken. Die Eibe half mir dabei, mit ihm zu kommunizieren. Der Zauber wirkte nicht auf jeden Geist – nur auf diejenigen, deren Seelen unruhig waren. Aber mein Dad konnte nicht in Frieden ruhen. Nicht nachdem er so gestorben war.
Mein Blick verschwamm, und ich rammte den Stößel in den Mörser, als der alte Schmerz wieder aufstieg. Um mich abzulenken konzentrierte ich mich auf Robbies Stimme, der meiner Mutter irgendetwas darüber erzählte, wie schön das Wetter in Portland war, während seine Stimme fast von einem Sonnwend-Cartoon über Jack Frost übertönt wurde. Er klang
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