Blutfrost: Thriller (German Edition)
sagte ich mechanisch und ging.
Ich knüllte die Mundbinde in der Hand zusammen und warf sie auf dem Flur in einen Papierkorb. Emily wollte sich vermutlich verabschieden, bevor sie in die USA zurückkehrte, dachte ich und schüttelte den Kopf über die Drama Queen, die in mir hauste. Als ich in meinem Büro war, drückte ich den roten Knopf und nahm das Gespräch entgegen.
»Krause?«
Tut-tut-tut. Sie hatte wohl keine Lust mehr zu warten gehabt, aber es war dumm von ihr gewesen, mich anzurufen. Wirklich dumm. Ich schaute kurz im Sekretariat vorbei.
»Sie hatte schon aufgelegt, als ich im Büro war«, sagte ich zu Ruth. »Können Sie versuchen, die Nummer ausfindig zu machen, von der aus sie angerufen hat?«
Ruth nickte und ich ging zurück in den Sektionssaal.
Das war gar nicht gut, wirklich nicht gut.
Sie hatten die Übersichtsfotos gemacht und Hände und Gesicht auf DNA-Spuren untersucht, als ich zurückkam. Ich zwangmich, an etwas anderes als das Freizeichen des Telefons zu denken, und konzentrierte mich auf die Leiche, den Bauch, das Messer. Micky war fast fertig mit den Abstrichen in Scheide und Enddarm.
»Wie willst du den Schnitt machen?«, fragte er.
»Das überlege ich auch gerade«, antwortete ich wahrheitsgemäß. Es gab keine klaren Prozeduren für schwangere Frauen mit einem Messer im Bauch, sodass Kreativität gefordert war.
»Vielleicht legen wir den Schnitt erst auf die eine Seite, bevor wir im Abstand von gut einem Zentimeter um das Messer herumschneiden?«
Micky untersuchte die Fingernägel mit einem Zahnstocher und sammelte die Proben in einem kleinen Becher, während ich weiter nachdachte. Als er begann, die Leiche zu waschen, holte ich ein Vergrößerungsglas, ohne wirklich zu wissen, warum. Ich wartete darauf, dass er fertig wurde, während ich mir mit der Lupe rhythmisch auf den Schenkel klopfte. Sidney stand hinten an der Wand und schien zu schlafen.
»Micky? Kann es sein, dass du heute außergewöhnlich langsam bist?«
»Kann es sein, dass du heute außergewöhnlich seltsam bist?«, konterte er. »Im Sinne von: noch seltsamer als sonst.«
Ich war ruhelos und konnte mich nicht von dem Eindruck befreien, dass alles nur in Zeitlupe vor sich ging. Das gleiche Gefühl hatte ich manchmal im Auto, egal ob im Stoßverkehr in der Innenstadt oder auf der Autobahn. Jetzt aber lag das sicher daran, dass ich es wirklich eilig hatte.
»Bitte!«, sagte Micky schließlich und trat einen Schritt zurück. Mit dem Diktaphon in der Kitteltasche trat ich an den Tisch. Ich fieberte danach, sie im Licht der Obduktionslampen zu sehen, nachdem ich so viele Male versucht hatte, einen Blick auf sie zu erhaschen. Ich hatte gehofft, verstehen zu können,wenn ich sie sah, aber außer vor Gericht hatte ich sie trotz all der Stunden, die ich vor ihrem dunklen Garten verbracht hatte, nie zu Gesicht bekommen. Jetzt würde ich sehen, wie jemand wie sie ganz aus der Nähe aussah, ja sogar von innen. Ich stellte mich neben ihr Gesicht und musterte es durch das Vergrößerungsglas.
»Was machst du denn jetzt?«, fragte Micky. »Brauchst du Schminktipps? Du benutzt doch sonst kein Make-up.«
Ich antwortete nicht, dachte aber, um wie viel schöner diese Frau gewesen wäre, hätte sie nicht so viel Schminke aufgetragen. Ihr Gesicht war grobporig und heftig braungelb geschminkt, mit roten Highlights um die Wangenknochen herum; die Augenbrauen waren zu einem schmalen Strich zusammengezupft worden, und an ihrem linken Auge hingen noch die falschen Wimpern. Ihre Haut wirkte älter als nötig. Aber so war das ja oft bei diesen Blondinen, dachte ich, bis ich entdeckte, dass ihre Haare unten an der Kopfhaut drei bis vier Millimeter dunkelbraun nachgewachsen waren. Diesen falschen Blondinen, korrigierte ich mich. Die Haut an ihrem Hals und auf ihrer Brust hatte zu viel Sonne abbekommen und war auffallend schlaff. Ihr hübscher, mittelgroßer Busen war das Werk eines Schönheitschirurgen, das verrieten die sauberen rötlichen Narben unter der Brust. Die Haut des gespannten, runden Bauchs war überzogen von Schwangerschaftsstreifen.
Ich bewegte mich weiter nach unten zu einer äußerst gelungenen Intimrasur, die garantiert einen Namen hatte. Es folgten zwei hübsche, feste Schenkel mit ein paar wenigen Besenreisern, die frisch enthaarten Unterschenkel und die Füße mit den hellroten Zehennägeln. Kein Wort wurde gesagt, ich spürte aber, dass die anderen mich ansahen.
Ich war enttäuscht. Ihr physischer Körper, ihr
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