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Blutfrost: Thriller (German Edition)

Blutfrost: Thriller (German Edition)

Titel: Blutfrost: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Staun
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lief im Büro auf und ab. »Ich weiß jetzt echt nicht, was ich mit Ihnen machen soll.«
    Als ich das letzte Mal in einer ähnlichen Situation war und mich von ihm ausschimpfen lassen musste, hatte ich ihm etwas später gesagt, was wirklich der Grund für mein seltsames Verhalten gewesen war. Er hatte unheimlich verständnisvoll reagiert.
    Jetzt konnte ich ihm das nicht sagen. Vielleicht später, aber im Augenblick noch nicht.
    Auf seltsame Weise spürte ich, dass er mir hinter all den Posen und der aufgesetzten Wut eigentlich wohlgesonnen war. Deshalb hatte er mir auch Doktor Glas gegeben, ein Buch vollerFreundlichkeit, mörderischer Gedanken und Einsamkeit, ein wunderbares Buch. Er wollte mich nicht loswerden, sondern mir nur seine Meinung sagen. Weil er das musste. Und weil mein Verhalten ihm Probleme machte.
    Wenn ein Chef einen leid war, wirklich leid, war so etwas eine vorzügliche Gelegenheit für eine Kündigung. Aber er war mich nicht leid, nicht auf diese Weise.
    Verärgert stand er da und hatte den Kopf Richtung Fenster gedreht. Eine bleiche Sonne erleuchtete die Scheiben, Staubkörnchen schwebten wie Fischschwärme durch die Luft. Ein großer Vogel flog am Fenster vorbei, und ich zuckte zusammen. Bonde Madsens Atem war noch immer viel zu laut.
    »Hat Daniel Ihnen das erzählt?«, fragte ich.
    Er nickte und sagte: »Ich sollte Sie feuern. Das tue ich vielleicht auch.«
    Ich dachte an Nkem und mir wurde warm ums Herz. Dann kam mir der Volvomann in den Sinn, und mein Herz gefror wieder.
    Bonde Madsen drehte sich zu mir um, und plötzlich war auf seinem Gesicht auch etwas Versöhnliches zu erkennen. »Aber Sie haben in der letzten Zeit richtig gute Arbeit geleistet. Sie haben unser Institut mit Ihren Publikationen auf der Weltkarte sichtbar gemacht, das muss ich eingestehen.«
    »Sie sollten sich auch eingestehen«, sagte ich dumm, »dass Sie mich nicht entbehren können. Niemand im ganzen Land ist qualifiziert genug, um meine Stelle zu übernehmen.«
    Wir lebten in einer Zeit, in der es extrem schwer war, erfahrene Rechtsmediziner zu bekommen, auch wenn inzwischen viele junge Leute die fünfjährige Spezialausbildung begonnen hatten. Sie waren allesamt noch nicht fertig, und selbst wenn, hätte ihnen meine zwanzigjährige Berufserfahrung gefehlt.
    »Ich hatte da einfach einen Knoten im Kopf«, sagte ich etwas kleinlaut. »Dachte, dass ich auch weitermachen könnte, wenn ich schon mal angefangen hatte.«
    »Puh«, sagte er wieder und schüttelte den Kopf. »Ich weiß wirklich nicht.« Er drehte sich noch einmal zum Fenster und blieb eine Weile still. Er genoss seine Macht. Dabei hatte nicht nur er diese Macht. Wenn ich jetzt mit ihm schlief, würde die Welt in wenigen Minuten ganz anders aussehen. Kein schlechter Gedanke.
    Einzelne orangerote Blätter strahlten durch das Grau auf der anderen Seite der Scheibe.
    »Ich mag das«, sagte ich und trat dicht hinter ihn. Ich nahm ein verirrtes Haar von seinem Kittel und warf einen Blick darauf, bevor ich es wegschnippte.
    Er drehte sich zu mir um und legte den Kopf zur Seite. Eine Frage, Verwunderung. Ich fühlte mich furchtlos. Es wäre so simpel. Außerdem glaube ich, dass es mir Spaß machen und alles einfach machen würde – solange es dauerte.
    »Wie meinen Sie das?«, fragte er. Jemand im Büro nebenan ließ etwas Großes, Schweres fallen und fluchte laut.
    »Den Herbst«, sagte ich und sah aus dem Fenster. »Ich mag den Herbst.« Die Stille senkte sich wie ein Zauber über uns. Bonde Madsen zuckte leicht mit den Schultern und dieses Zucken brachte ihn zurück in die Wirklichkeit.
    »Gott, bin ich müde. Mein Jüngster hat Mittelohrentzündung, und ich habe die ganze Nacht kein Auge zugemacht – ich bin einfach zu alt für kleine Kinder.« Er rieb sich die Augen und seufzte tief.
    »Also, hören Sie mal zu«, sagte er schließlich, trat einen Schritt weg und drehte mir den Rücken zu. »Sie fahren jetzt mal für eine Weile weit, weit weg – drei Wochen, einen Monat, lang, und weit weg, damit ich Ihr hübsches, Ihr verdammt bezauberndesGesicht garantiert nicht sehe. Und dann sehen wir, wie die Dinge stehen, wenn Sie wieder da sind.«
    Okay, dachte ich, das mache ich, ich fahre weit weg. »Sind wir dann fertig?«
    Er nickte, drehte sich aber wieder zum Fenster um.
    Ein Spiel für die Galerie, dachte ich, als ich in mein Büro ging und meine Sachen packte. Wie alt war er? Sechsundsechzig? Ohne ihn und mich, wer sollte dann dieses geliebte Institut bemannen?

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