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Blutfrost: Thriller (German Edition)

Blutfrost: Thriller (German Edition)

Titel: Blutfrost: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Staun
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das Ohr an die Tür legte, konnte ich sie nicht mehr hören. Ich blieb stehen und zählte bis hundert, wollte jetzt keinen Kommentar über meine Rauchgewohnheiten.
    Ich öffnete die Tür und ging ins Sekretariat. »Was gibt’s denn?«
    Sie streckte mir den Obduktionsbericht hin. »Sie haben nicht unterschrieben«, und pflanzte ihren Finger unten auf die Seite, als wüsste ich nicht, wo ich unterschreiben musste.
    »Ich bin kommenden Monat weg.«
    »Das habe ich schon erfahren«, sagte Ruth und nahm die Papiere entgegen, ohne mich anzusehen.
    Als ich zurückkam, überprüfte ich die E-Mails auf meinem Laptop und atmete erleichtert auf. Mit einer neuen Cecil im Mund öffnete ich ihre Nachricht:
    Sitze auf dem Flughafen – aber weißt du was, es war Wunschdenken. Mach’s gut und danke für deine Hilfe.
    Was? Was war Wunschdenken? Ich schickte ihr sofort eine Antwort und hoffte inständig, dass sie noch reagieren konnte:
    Ich komme sofort.
    Ich erkundigte mich gerade nach dem nächsten Direktflug in die USA, als sie antwortete:
    Du darfst nicht kommen. Ich bin nicht zu Hause, und es sieht nicht gut aus.
    Verdammt, das tust du nicht , dachte ich, das darfst du nicht . Als ich mein Ticket bestellt hatte, überprüfte ich, auf welchen Flug sie wartete. Es musste der mit den vier Zwischenlandungen sein. Wenn ich richtig kalkulierte, kam sie nur ganz kurz vor mir an.

REXVILLE, NOVEMBER 2010
33
    Ich war kein Mensch, der von Fremden angesprochen wird. Im Supermarkt fragte mich nie einer, wo die Fischsoße stand. Touristen fragten mich nicht nach dem Weg zum Hans-Christian-Andersen-Haus – dabei könnte ich ihnen durchaus helfen. Und im Flugzeug sprachen die Tratschtanten, die sonst alles und jeden in Besitz nehmen, den sie sich schnappen konnten, kein Wort mit mir. Sie nahmen sogar den Ellenbogen von der Armlehne und drehten mir den Rücken zu. Ich hatte keine Ahnung, warum, aber ich war ganz zufrieden damit, dass ich keine großen Anstrengungen unternehmen musste, um in Ruhe gelassen zu werden. Trotzdem setzte ich die Schlafmaske auf und verschanzte mich hinter meinem iPod, kaum dass ich den Sicherheitsgurt angelegt hatte. Mein Schlafdefizit war immens, und ich wollte einen klaren Kopf haben, wenn ich ankam.
    Es war ein gigantischer physischer Impuls und nicht das Resultat reiflicher Überlegungen, der mich nach Kastrup getrieben hatte, durch Passkontrolle und Sicherheitscheck, durch die langen Reihen der Schaufensterpuppen mit Designerkleidern bis zum Gate, ja schließlich bis über den Atlantik. Es war ein physikalisches Phänomen, das überall da existierte, wo elektrisch geladene Partikel in Bewegung waren. Sog war ein allzu mildes Wort dafür, denn dagegen wehren konnte man sich nicht. Es gab nur diesen einen Weg. Ich war mir sicher, dass Emily jetzt das Gefühl hatte, nicht mehr in diese Welt zu passen, ebenso sicher war ich mir aber, dass ihr und mir besser damit gedient war, wenn sie noch ein bisschen durchhielt. Mein kleines Mädchen.
    Nachzudenken begann ich erst später, nachdem das Flugzeug über die Startbahn beschleunigt und den Bodenkontakt verloren hatte und ich die Physik im Rücken spürte. Geschwindigkeit, Beschleunigung, Impuls und Kraft. Lange nachdem wir unsere Flughöhe erreicht hatten und alle Informationen der Flugbegleiter verstummt waren, kam die Ruhe. Mehr konnte ich nicht tun.
    Ich hatte eine ziemlich genaue Vorstellung, wo ich sie finden würde. Das wusste sie. Sie sehnte sich ebenso stark nach mir wie ich mich nach ihr, daran gab es in diesem Moment keinen Zweifel. Es gab einfach Menschen, die über jeden Zweifel erhaben waren, sie waren dazu bestimmt, die schwarzen Löcher der anderen zu füllen, wie die letzten Steinchen eines Puzzlespiels, das endlich vollendet werden konnte. Dieser Gedanke gefiel mir sehr. Er war einfach und schön. Sie wollte eine Mutter, ich wollte eine Tochter, vielleicht konnten wir uns gegenseitig unsere dunklen Flecken reinwaschen. Mein mentaler Fixpunkt war das Wasser, das wirbelnd im Abfluss der Badewanne verschwand und langsam heller und heller wurde. Ich hatte begonnen, mich zu freuen.
    Aber der Schlaf kam nicht wie geplant, und je müder ich wurde, desto größer wurden die Zweifel. Denn wenn etwas großen Schmerzen ausgesetzt war, wurde es niemals mehr, wie es zuvor gewesen war. Eine Wirbelsäule, ein Herz, das Gemüt eines Kindes. Abgestorbene Nervenbahnen wurden nie wieder lebendig, sensible Bereiche hatten sich aus Furcht vor weiteren Anschlägen hinter

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