Blutgeld
Gruppe, die er viele Jahre zuvor gegründet hatte und die insgeheim als ‹Freunde von Arabien› bekannt war. Es war eine erlesene Washingtoner Gruppe: drei ehemalige Regierungsfunktionäre, ein halbes Dutzend pensionierte Beamte des Außenministeriums, mehrere prominente Mitglieder der Washingtoner Anwaltskammer.
Für die hochrangigen Mitglieder der ‹Freunde von Arabien› galt das jährliche Treffen als Zelebrierung eines großen Unternehmens, das es schon über fünfzig Jahre gab. Hätte irgendjemand von der Existenz dieser Gruppe gewusst, hätte er sie zweifellos als elitär imperialistisch, proarabisch, rassistisch oder wie auch immer verurteilt. Aber die Mitglieder betrachteten eine derartige Einstellung als schlichten Unsinn, der von Leuten geäußert wurde, die keine Ahnung hatten, wie die Welt wirklich funktionierte. Das Einzige, was sich die Freunde zuschulden kommen ließen, so erinnerte Hatton sie gerne bei seinem jährlichen Trinkspruch, war, die nationalen Interessen der Vereinigten Staaten zu schützen. Amerika hatte eine unlösbare Aufgabe übernommen – in der einen Hand die Ölversorgung der Welt zu halten und in der anderen eine arabisch-israelische Bombe, die immer kurz davor war zu explodieren –, und bis jetzt hatte der Staat Erfolg gehabt. Das Öl floss immer noch, und die Bombe hatte, selbst wenn sie ständig kurz davor stand zu explodieren, das Haus noch nicht zum Einstürzen gebracht. Und dafür war die Welt den ‹Freunden von Arabien› Dank schuldig – der nie ausgesprochen werden würde.
Der Sekretär störte Hatton schließlich doch bei seinem Luncheon, kurz nachdem er die Tischrede gehalten hatte. Der Klient aus London habe wieder angerufen. Er sagte, es sei eine Angelegenheit von größter Dringlichkeit, die keinen Aufschub dulden könne. Hatton entschuldigte sich und nahm den Anruf eines bestimmten saudischen Prinzen entgegen, der schon seit Jahren zu seinem Klientenstamm gehörte. Der Prinz erklärte in seinem verträumten Ton, dass er zwei ziemlich komplizierte Probleme habe. Einmal eine Angelegenheit im Irak, die einen dringenden Transfer einer großen Summe Geldes von einem Bankkonto in Bahrain erforderte, die sobald wie möglich per gecharterten Jet nach Bagdad gebracht werden müsse. Und bei der zweiten Angelegenheit gehe es um die Geschäfte eines türkischen Herrn, der ein alter Freund der Firma Hatton, Marola & Dubin sei. Dabei gehe es um eine sehr große Summe Geld, die zur Zeit auf einem Nummernkonto in George Town auf den Cayman-Inseln ruhe, aber eine Heimat in den Vereinigten Staaten suche. Es sei ein Strohmann gefunden worden, der für den Kauf einer Bank zur Verfügung stehe. Die türkische Angelegenheit könne warten. Die andere erfordere sofortiges Handeln.
Hatton rief sofort einen Juniorpartner an. Er wies ihn an, die Auszahlung von Geldmitteln von dem Konto in Bahrain zu veranlassen und eine Maschine von einem Unternehmen in Amman zu chartern. Binnen weniger Minuten drehten sich alle Räder in die richtige Richtung. Was Robert Hatton erlaubte, zu seinen Gästen zurückzukehren, gerade rechtzeitig, um mit ihnen zusammen ein Glas Cognac und eine Zigarre zu genießen.
34
Lina verbrachte eine schlaflose Nacht, die ihr endlos vorkam. Sie war wieder in einer Einzelzelle, aber diesmal ließen sie die ganze Zeit das Licht an. Ansonsten war es genau wie im ersten Raum, in dem sie gewesen war: raue Betonwände, in die Namen und Botschaften eingeritzt waren, die stinkende Grube in der Ecke, die wohltuende Kühle des Steinbodens. Es war keine Todesangst, die Lina wach hielt. Sie wollte einfach nur jeden verbleibenden Moment des Bewusstseins festhalten. Während sie mit dem Gesicht auf dem Steinboden lag, zogen die Menschen ihres Lebens durch ihren Kopf wie eine Truppe von Schauspielern bei der letzten Verbeugung. Sie dachte an ihre Mutter, die schon so lange tot war, dass sie sich in Linas Erinnerung in ein fernes Leuchtfeuer verwandelt hatte. Aber sie war das erste Opfer gewesen: Das erzwungene Exil aus Bagdad hatte sie umgebracht. Und dann dachte sie an ihren Vater, den arabischen Aristokraten, dem das nötige Geld fehlte, um seine Verachtung für das, was aus den Arabern geworden war, zu pflegen. Wie recht er gehabt hatte. Es war ein neues
Asr al-Jahiliyya
, ein neues Zeitalter der Ignoranz. Auch er war ein Opfer.
Und sie dachte an Sam Hoffman, ursprünglich ein Kleindarsteller in ihrem Drama, der beinahe aus Versehen in den Mittelpunkt der Bühne geraten
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