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Blutgeld

Blutgeld

Titel: Blutgeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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aber es würde auf das Gleiche hinauslaufen. Sie spürte jetzt, wie eine andere Hand sie nach vorne zog und sie dann auf den Rücksitz eines Autos schob. Sie wurde also irgendwo anders hingebracht, um getötet zu werden. Der Fahrer drückte sie flach auf den Boden und legte eine übelriechende Gefängnisdecke über sie. Ein Leichentuch für die Sterbenden.
    «Möchten Sie Musik hören?», fragte der Mann. Er sprach Englisch. Er legte eine Kassette ein. Es war blechern klingende arabische Popmusik, mit dem Gesang einer Frau, die wie eine Gassenkatze jaulte.
    «Keine Musik», sagte Lina unter der Decke. Zu ihrer Überraschung stellte er die Musik sofort aus. Die Verurteilten hatten also doch noch einige Rechte.
     
    Die Fahrt dauerte lange. Zu lange. Lina wollte es endlich hinter sich haben. Ihr Geist fing allmählich an, ihr Streiche zu spielen, erlaubte ihr, sich vorzustellen, dass sie vielleicht doch überleben könnte. Sie spürte den Wind der offenen Straße durch die Decke hindurch. Das war gefährlich. Die einzige Nahrung für den Mut war die Gewissheit des Todes. Sowie die Möglichkeit des Überlebens bestand und es etwas gab, wofür es sich zu leben lohnte, kehrte das Entsetzen zurück. Das Auto fuhr immer noch die Straße lang, die ihr wie eine breite Landstraße vorkam, und wurde dann bei einem Kreisverkehr langsamer. Lina hörte auf einmal ein seltsames Geräusch, zuerst ganz fern und dann näher, fast wie das Brüllen eines Motors. Sie fragte sich, ob sie jetzt verrückt würde, nach so vielen Stunden der Angst und Anspannung.
    Das Auto drehte und hielt an. Der Fahrer kurbelte die Scheibe herunter und sagte auf Arabisch:
«Safir Al-Saudiyya.»
Wieder der saudische Botschafter. Der Fahrer gab jemandem – einem Wachposten, nach seiner ruppigen Stimme zu urteilen – irgendwelche Papiere oder vielleicht Geld – Lina konnte es nicht feststellen. Und dann hörte sie ein raues Brummen, als der Wachposten sie durch den Kontrollpunkt winkte. Der Fahrer kurbelte wieder die Scheibe hoch und gab Gas.
    «Möchten Sie Musik hören?», fragte er wieder.
    «Ja», sagte Lina. In diesem Augenblick wusste sie, mit einer Art sechstem Sinn, dass sie leben würde.
    Nach sechzig Sekunden trällernder Musik hielt der Wagen. Der Fahrer öffnete die Tür, zog Lina die schmutzige Decke vom Körper und warf sie auf den Boden. Er half Lina auf, band vorsichtig die schwarze Kapuze auf und zog sie ihr vom Kopf.
    Lina brauchte einen Moment, bis sie wieder richtig sehen konnte. Zehn Meter von dort, wo das Auto gehalten hatte, stand ein Lear Jet. Die Gangway war heruntergelassen, und ein Steward stand in der offenen Luke und winkte ihr zu, an Bord zu kommen. Lina drehte sich zum Auto um. Es war eine lange schwarze Limousine mit Diplomaten-Kennzeichen. Endlich begriff sie. Der Fahrer war der Chauffeur des saudischen Botschafters.
    «Schnell», sagte der Steward, der ihr wieder winkte, an Bord zu kommen. Lina drehte sich ein letztes Mal zu dem Wagen und dem Fahrer um. Sie war noch nicht bereit zu gehen. Sie brauchte etwas, das sie an ihr Versprechen an den lebendigen Jawad und an so viele erinnerte, die tot waren. Sie sah die dreckige Gefängnisdecke auf dem Boden und nahm sie in die Arme.
    «Beeilen Sie sich, bitte», sagte der Steward. Auch der Pilot gab durch die Cockpit-Scheibe hindurch Zeichen, dass es höchste Zeit war loszufliegen. Sie hatten jetzt mehr Angst vor Bagdad als Lina. Sie ging die Treppe hoch. Der Steward schloss schnell die Tür und führte sie zu ihrem Platz. Er fragte sie, ob sie irgendwas zu trinken wünsche, als wäre sie plötzlich ein Gast im Ritz. Lina bat um ein Glas Wasser. Sie schloss die Augen, während die Maschine die Startbahn entlangrollte und sich lärmend in die Luft erhob. Als das Fahrwerk eingefahren wurde, wollte sie das Gefühl der Befreiung fühlen. Aber im Geiste sah sie immer noch das Gesicht des Dichters, und sie wusste, dass sie sich immer noch in der Galerie der Toten befand. Als sie in der Luft waren, kam der Steward zu ihr zurück.
    «Der Pilot bittet Sie, ihm Ihr Flugziel zu nennen», sagte er. «Er hatte Anweisungen, Sie abzuholen und Sie hinzufliegen, wohin Sie wollen.»
    Lina musste nur einen Moment lang überlegen. «Genf», sagte sie.
     
    Eine Stunde später, als der Steward zu ihr gekommen war, um ihr zu sagen, dass sie den irakischen Luftraum verlassen hatten, fragte Lina, ob sie eine Nachricht nach London schicken könne. In diesen ersten Minuten der Freiheit hatte sie

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