Blutgeld
globales Netzwerk von Liliputanern, die bereit waren, Gulliver Ärger zu machen.
26
Helen weckte Lina am nächsten Morgen und zeigte ihr die Zeitung. Der ausführlichste Bericht stand in der Times. Mit einer detaillierten Personenbeschreibung wurde Lina als jene rätselhafte Frau erwähnt, die von der Polizei überall gesucht wurde. Es wurden auch ‹gutunterrichtete Quellen› zitiert, denen zufolge die Araberin, Miss Alwan, mit zwei palästinensischen Terroristen aus Tunis zusammengearbeitet habe, um die vertraulichen Dateien eines bedeutenden Londoner Investment-Unternehmens zu stehlen, bei dem sie bisher gearbeitet hatte. Das fragliche Unternehmen bot eine beträchtliche Belohnung für Hinweise auf Miss Alwans Aufenthaltsort. Lina schüttelte den Kopf. Das musste sie Hammud lassen. Er war verdammt clever.
«Du könntest eine neue Identität gebrauchen», sagte Helen und deutete auf die Zeitung. Mehr, als Lina eine andere Haarfarbe und neue Garderobe zu verschaffen, konnte Helen nicht tun. Nach einer Stunde in Helens Zimmer erschien die elegante arabische Prinzessin als eine Wasserstoffblondine mit Omabrille, einem langen Rock, rustikaler Bluse und einem Rucksack. Sie sah fast nordisch aus.
Helen machte Frühstück. Die beiden Frauen aßen in Helens Garten, der von Ranken, Knospen und Blüten völlig überwuchert war und zu ihrer Unordnung gut passte. Die Morgensonne schien gelegentlich durch die Wolken, erhellte das Grün des Gartens, sodass die Pflanzen im Sonnenlicht zu glitzern begannen und dann wieder in ein dunkleres Grün wechselten. Lina genoss diesen Augenblick der Flucht aus ihren Sorgen und fragte ihre Freundin, woran sie zur Zeit arbeite.
Helen erzählte, dass sie gerade ein neues Computerspiel entwarf. Es hieß Feminist Alien Invaders. Es ging darum, dass eine neue Rasse von Frauen aus dem Weltraum auf der Erde gelandet war. Sie waren in jeder Hinsicht mit der menschlichen Rasse identisch, außer dass der Spieler bei diesen Frauen bestimmte Verhaltensparameter ermitteln konnte, wie Ehrgeiz und Libido. Ziel des Spiels war es herauszubekommen, ob die Feminist Alien Invaders den Planeten erobern oder vernichten würden.
«Die Sache ist nämlich so», sagte Helen, «je größer der Ehrgeiz, desto größer auch die Lust auf Sex. Erfolgreiche Feminist Aliens denken an nichts anderes. Aber sie haben zu viel zu tun. Und wenn sie ihr Verlangen nicht stillen können, verlieren sie an Kreativität und sind weniger erfolgreich. Das ist der Trick, verstehst du? Die richtige Kombination hinzukriegen.»
Helen war gerade dabei, einen weiteren Strategiepunkt zu erklären, als das Telefon klingelte. Die beiden Frauen erstarrten, und plötzlich war nirgends ein Laut zu hören, bis auf das Telefon. Einmal, zweimal, dreimal. Selbst die Vögel und Insekten in der freien Natur schienen verstummt zu sein.
«Du solltest lieber rangehen», sagte Lina. Sie folgte Helen ins Haus. Die Außenwelt drang in ihre Idylle ein.
«Hallo?», sagte Helen. «Ja, hier ist Miss Copaken. Wer ist da? Kenn ich Sie? … Was möchten Sie?»
Helen schüttelte grimmig den Kopf und legte sich dann ihren Zeigefinger an die Schläfe wie eine Pistole. «Wer? Buchstabieren Sie Ihren Namen nochmal. A-L-W-A-N. Ja, ich kenne sie. Aber ich hab sie schon eine ganze Zeitlang nicht mehr gesehen … Nein, ich weiß nicht, wo sie ist … Ja, ich hätte allerdings was dagegen, wenn Sie vorbeikämen. Ich bin gerade dabei, das Haus zu verlassen … Auf Wiederhören.» Helen legte auf. «O Gott», sagte sie.
Lina war auf die Couch gesunken. Sie hielt sich den Kopf und wiegte sich sanft hin und her, so wie eine Mutter ihr Kind wiegt. «Wer war es?», fragte sie, ohne aufzublicken. Sie wusste es bereits.
«Jemand aus deiner Firma. Er hatte einen Akzent. Die suchen dich. Er hat gesagt, es ist wichtig.»
«Die wissen, dass ich hier bin, oder?»
«Sie werden sich’s wahrscheinlich ausrechnen. Ich glaube nicht, dass ich sonderlich überzeugend geklungen habe.»
«Was soll ich tun?»
«Verschwinden. Sofort. Die können bald hier sein. Du musst los. Schnell. Wir nehmen mein Auto.» Sie streckte ihre Hand zur Couch hin, um Lina hochzuziehen.
«Wo fahren wir hin?» Lina war ganz schlaff.
«Zum Flughafen. Ich hab gestern Abend einen Plan für dich ausgetüftelt. Ich wollte es dir eigentlich im Garten erzählen, aber ich kann’s dir auch unterwegs nach Heathrow erklären. Los, beeil dich!»
Lina stand langsam von der Couch auf und sammelte ihre wenigen
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