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Blutgeld

Blutgeld

Titel: Blutgeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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gekommen, indem sie Geld für Franzosen versteckte, die ihre Steuern hinterziehen wollten, und später Afrikaner und Asiaten, Araber und Juden mit offenen Armen und Banktresoren empfing. Ein ganzes Universum von Menschen, die etwas zu verbergen hatten. Was bedeutete da schon einer mehr oder weniger? Eine junge Frau mit auffallend dunklen Zügen, die nicht zu ihrer Haarfarbe passten?
    Der Passbeamte winkte Lina Alwan durch. Zuerst bewegte sie sich überhaupt nicht. Sie blickte auf den Boden, mied seinen Blick, sodass sie das Achselzucken und das Wedeln der Hand nicht sah. Erst als ein Deutscher hinter ihr in der Schlange sie nach vorne schob, war ihr klar, dass sie frei war, das Land zu betreten. Sie erlebte einen weiteren nervenaufreibenden Moment an der Zollkontrolle, als man ihren Computer sehen wollte. Aber sie wurde nur gebeten, ihn anzustellen. Computer waren kein Problem für den Zoll, solange sie nicht explodierten. Lina fühlte plötzlich eine Euphorie in sich aufsteigen, wie Schaum von Champagner in einem Kelch. Als sie in die Haupthalle des Flughafens hinaustrat, wollte sie feiern. Sie entdeckte eine Damenboutique und kaufte sich ein neues Kleid, hauteng. Es war viel zu teuer, aber das spielte keine Rolle. Sie bezahlte mit Helens Kreditkarte.
    Lina nahm sich ein Zimmer im Beau Rivage, einem großen, alten Hotel am Quai du Mont-Blanc. Es war das einzige Hotel in Genf, dessen Namen sie kannte. Ihr Vater hatte dort immer gewohnt, als er es sich noch leisten konnte, in die Schweiz zu fahren. Man gab ihr ein absurd großes Zimmer im vierten Stock mit einem Balkon, mit Blick auf das Wasserspiel. Allein schon das Badezimmer wirkte so groß wie eine Kegelbahn: eine lange weiße Halle, mit leuchtend weißen Handtüchern gesäumt, einem riesigen Waschbecken, Badewanne und Bidet und einem getrennten Raum, in dem sich das WC befand. Lina fühlte sich auf glückliche Weise fehl am Platz.
    Es war später Nachmittag. Lina saß fast eine Stunde lang auf ihrem Balkon, beobachtete das Wasserspiel und empfand Glück, noch am Leben zu sein. Sie war von der hochragenden Wassersäule hypnotisiert, die sich Hunderte von Fuß über die friedliche Oberfläche des Genfer Sees in die Luft erhob und in nebligen Kaskaden herabstürzte. Sie fühlte sich gleichzeitig wie der aufsteigende Strahl und der fallende Nebel.
    Helens tapfere Worte über das Geld, das sie finden müsse, hatten in London fast einleuchtend geklungen. Aber jetzt, da Lina in der Schweiz war, waren sie nicht mehr als dieser Nebel, der sich in der Luft verflüchtigte. Sie hatte immer noch die Ausdrucke von Hammuds geheimen Dateien dabei, mit den Namen und den Kontonummern. Aber als sie versuchte, sich zu überlegen, was sie damit machen sollte, war ihr Kopf wie leergefegt. Sie wollte Hoffman anrufen und ihn um Rat fragen, und besonders dringend wollte sie Randa anrufen, um die sie sich zunehmend mehr Sorgen machte. Aber sie wusste, es wäre verrückt, und so blieb sie noch eine Weile auf dem Balkon sitzen und sah zu, wie das Wasser die letzten Strahlen der Nachmittagssonne einfing.
     
    Schließlich nahm Lina ein Bad, zog ihr neues Kleid an und ging dann hinunter in die Atrium-Bar. Es war Aperitif-Zeit, und der Raum war mit Geschäftsleuten von überall her gefüllt. Lina wurde zu einem Tisch in der Ecke geleitet, abseits vom Trubel. Sie bat um eine Schweizer Zeitung und ein Glas Mineralwasser. Der Blick aus dem Fenster zeigte das blauschwarze Wasser des Genfer Sees und die verschwommenen Umrisse der Alpen, kaum sichtbar im Mondlicht. Sie sah sich im Raum um. Die Gäste wirkten alle sehr wohlerzogen und höflich, selbst die Araber. Die Schweiz schien eine beruhigende Wirkung auf die Menschen zu haben.
    Als sie ein paar Minuten lang die Zeitung durchgeblättert und an ihrem Mineralwasser genippt hatte, fiel Lina auf, dass ein Mann sie anstarrte. Er war spindeldürr, teuer gekleidet, mit einer Krawatte von Hermès und goldenen Manschettenknöpfen. Er war schätzungsweise fünfzig Jahre alt, offensichtlich begierig nach Gesellschaft, und er schien auch leicht angeheitert zu sein. Zuerst sah Lina weg und ließ den Blick über den Kinoführer von
La Suisse
schweifen, als warte sie auf jemanden und wolle nicht belästigt werden. Aber nach kurzer Überlegung war ihr klar, dass sie auf niemanden und nichts wartete und dass sie in Genf neue Freunde finden musste, und zwar schnellstens. Sie sah auf und erwiderte seinen Blick, sah ihm geradewegs in die Augen. Er lächelte,

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