Blutgesicht
jemand bewegt hatte, der dort saß. Es war nur eine vage Vermutung, ich schaute auch nicht nach, denn Suko hatte sich bereits auf den Weg zum Eingang gemacht. Ich folgte ihm, holte ihn auch noch vor der Treppe ein, als wir beide stoppten, denn jemand hatte und angesprochen.
»He, Moment mal. Wollen Sie auch in die Ausstellung?«
Wir drehten uns um.
Die Tür des Astra stand schon offen. Mit einer flotten Bewegung stieg eine junge, blonde Frau aus, die eine hellblaue Thermojacke und Jeans trug und sich eine Kamera um den Hals gehängt hatte. Sie winkte mit der linken Hand, als sie auf uns zukam.
»Kennst du sie?« fragte Suko.
»Nein. Du denn?«
»Auch nicht.«
Ich hob die Schultern. »Sie scheint irgendwie etwas mit der Ausstellung zu tun zu haben.«
»Das denke ich auch.«
Eine flatternde Atemfahne wehte vor den Lippen der quirligen Person. Die Kleine schätzte ich auf Anfang Zwanzig. Das Haar trug sie kurz geschnitten. Darunter malte sich ein rundes Gesicht mit einer kleinen Nase, runden Wangen und einem ovalen Kinn ab. Sie lächelte, als sie stehenblieb.
»Wollen Sie auch in die Ausstellung?«
»Das hatten wir vor«, sagte ich.
»Sorry.« Sie schüttelte den Kopf. »Die ist geschlossen. Man kommt nicht hinein.«
»Ach.«
»Da sagen Sie was. Ich weiß auch nicht warum.« Sie schaute auf die Eingangstür. »Ist aber so. Ich warte seit zehn Minuten, weil ich immer noch damit rechne, daß ich reinkann. Ist wohl ein Irrtum. Nichts zu machen.«
»Und jetzt?«
»Werde ich wohl verschwinden.«
»Sind Sie eine Bewunderin des Malers Lassalle?« erkundigte sich Suko.
Die Blonde lachte. Zuerst laut, dann prustend. »Wie kommen Sie denn darauf?«
»Wer in die Ausstellung will, interessiert sich normalerweise für die Bilder.«
»Ja, da haben Sie recht. Bei mir ist es ähnlich, das können Sie mir glauben. Nur ist mein Interesse beruflicher Natur, wenn Sie verstehen.«
»Nein.«
»Ist auch nicht schlimm.« Sie winkte ab und zog die Nase hoch. »Ich heiße Julia Mason und arbeite am Wochenende für eine Zeitschrift, wenn Sie verstehen. Als Aushilfe. Ich bin Studentin und preiswert. Ich mache oft die Jobs, die keiner haben will. Und wie heißen Sie?«
Wir stellten uns vor. Ein skeptischer Blick traf uns. »Aus der Branche sind Sie aber nicht.«
»Meinen Sie Ihre damit?«
»Ja, Mr. Sinclair.«
»Das nicht.«
»Dann sind Sie auch die Gelackmeierten.« Bevor wir antworten konnten, redete sie weiter. »Das wird Ärger geben, wenn ich mit leeren Händen in die Redaktion zurückkehre. Hat mich sowieso einen großen Kampf gekostet, den Bericht unterzubringen. Ich wollte ja nicht nur einfach über die ausgestellten Bilder schreiben, sondern auch den Künstler intensiver als gewöhnlich mit einbeziehen.«
»Lassalle?« fragte ich.
»Wen sonst? Es gibt im Moment nur seine Ausstellung. Und der ist schon außergewöhnlich. Auch für einen Künstler, von denen man ja einiges gewohnt ist.«
Wir taten ganz unbefangen. »Wie meinen Sie das denn?« erkundigte sich Suko.
Erstaunt schaute Julia Mason uns an. »Warum fragen Sie das? Kennen Sie Nathan Lassalle?«
»Nicht direkt«, gab Suko ausweichend zu. »Wir haben natürlich von ihm gehört. Er soll ein toller Maler sein, aber persönlich kennengelernt haben wir ihn noch nicht.«
»Begeistert klang das nicht.«
»Sollen wir jubeln?«
»Unsinn.« Sie winkte ab, drehte sich um und schaute auf die Eingangstür. Dabei kaute sie mit den Schneidezähnen auf ihrer Unterlippe. »Was soll ich jetzt machen? Weiterhin darauf warten, daß die Ausstellung doch noch geöffnet wird oder soll ich verschwinden? Ich stecke wirklich in einer Klemme.«
»Haben Sie denn Hoffnung, daß Lassalle erscheint?« wollte ich wissen.
»Normalerweise ja.«
»Hatten Sie einen Termin?«
»Nein, das nicht. Ist auch nicht tragisch. Es wäre ein Spontan-Interview geworden. Natürlich mit den entsprechenden Aufnahmen. Schade, hätte mir Spaß gemacht.«
»Sie kennen die Ausstellung natürlich.«
»Sicher, Mr. Sinclair. Recherchen gehören zu meinem Job. Ich habe auch schon mit Lassalle gesprochen. Er hatte auch nichts gegen einen Bericht einzuwenden gehabt.«
»Wenn Sie ihn kennen«, sagte ich, »was hatten Sie dann für einen Eindruck?«
Julia Mason lachte mit geschlossenen Lippen. »Was wollen Sie denn jetzt von mir hören?«
»Die Wahrheit, denke ich.«
»Sie reden wie ein Polizist. Nathan Lassalle ist ein Wahnsinn für sich. Er ist abstoßend, er ist einmalig, und er ist faszinierend.
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