Blutgesicht
Schritt nach vorn und nickte dazu. Ein Beweis, daß die Umgebung leer war.
»Das hätten wir«, flüsterte er, als er mir zunickte. »Jetzt fehlt uns nur noch Freund Lassalle.«
»Klar, und Jane.«
»Also dann, John, Abmarsch…«
Jane Collins hatte jedes Wort verstanden. Dieser Maler hatte von seinem Blutgesicht gesprochen – und, was noch schlimmer war, von einem lebenden Bild.
Lebte es wirklich? Steckte in dieser Person tatsächlich so etwas wie Leben, oder sonderte er nur das Blut ab? Denn das eine mußte nicht unbedingt das andere beinhalten. Leben konnte man verschieden auslegen, das stand für Jane Collins auch fest. Hier aber glaubte sie dem Maler jedes Wort.
Es gefiel Lassalle nicht, daß Jane so lange schwieg. Er schaffte es nicht, sich in sie hineinzuversetzen, und deshalb übernahm er wieder die Initiative. »Hast du mich nicht gehört? Ich habe dir gesagt, daß dieses Bild lebt.«
»Ja«, flüsterte sie, »das weiß ich.«
»Und, Jane? Gibst du mir keine Antwort? So etwas ist einmalig. Du müßtest überrascht und fasziniert zugleich sein. So etwas ist einmalig. Das gibt es nicht noch einmal.«
»Ich weiß nicht…«
»Doch, glaub mir, das Bild ist einmalig. Es ist ein wahres Meisterwerk, das ich geschaffen habe.«
»Woher kommt das Blut?« fragte Jane.
»Aus ihm.«
»Wie? Aus ihm?«
»Ja, schau hin, dann siehst du es.«
»Aber der Mann dort ist gemalt. Er kann nicht bluten. Er ist kein Mensch wie viele andere. Er ist nur…«
Lassalle ließ Jane nicht zu Ende sprechen. »Er lebt!« raunte er in ihr rechtes Ohr. »Er lebt, und ich lebe. Und jeder lebt auf seine Art und Weise.«
Jane Collins hatten die Worte und der Anblick durcheinandergebracht. Hinzu kam noch die für sie stickige Atmosphäre. Sie konnte und wollte es nicht akzeptieren. Sie war auch nicht in der Lage, nachzudenken und sich die Fälle vor Augen zu führen, die sie schon erlebt hatte, ebenso wie ihre Freunde Sinclair und Suko. Von ihnen wußte sie, daß es diese lebenden Bilder gab. Sie konnten als magische Kunstwerke angesehen werden, denn hinter ihnen steckte zumeist die Kraft des Teufels, die dann auch auf den Schöpfer übergegangen war.
Ihr kam eine Idee, und sie sprach den Gedanken auch sofort aus. »Wie war es möglich, daß ich dieses Bild zuerst in meinem Traum gesehen habe und später dann vor dem Fenster? Wie kann das nur geschehen sein, verdammt?«
»Es ist eben ein besonderes Bild. Nicht nur von mir geschaffen, das kommt natürlich hinzu. Aber ich sagte dir schon, es lebt. Ja, das Bild lebt.«
»Dann… dann…«, Jane wagte die Frage kaum zu stellen. »Dann könnte es den Rahmen verlassen.«
Das Lachen des Malers klang häßlich. »Wie klug du doch plötzlich bist, kleine Jane. Vieles, was einem Menschen unbegreiflich erscheint, ist möglich. Ich lebe darin, Jane Collins. Halte dir das vor Augen. Ich lebe dort. Mich gibt es nicht nur einmal, sondern doppelt. Wie heißt es noch im Faust? Zwei Seelen leben, ach, in meiner Brust. Von mir gibt es nicht nur zwei Seelen, sondern sogar zwei Körper. Das ist so etwas ähnliches wie ein magisches Klonen. Verstehst du?«
»Nein, aber ich nehme es hin.«
»Es wird dir auch nichts anderes übrigbleiben. Ich habe dich ausgesucht, Jane. Du bist mir schon beim ersten Besuch aufgefallen, und so habe ich mich für dich interessiert. Ich habe es geschafft, dir das Blutgesicht zu schicken. Du warst entsetzt und neugierig zugleich. Diese Neugierde habe ich ausnutzen können. Jetzt stehst du vor dem Bild und bist perplex.«
Jane hatte den Maler nicht angesehen, weil er noch immer hinter ihr stand. Aber sie hatte das Bild nicht aus den Augen gelassen und an den Reaktionen erkannt, daß das Gesicht auf dem Gemälde das gleiche fühlte wie sein Erschaffer. Bei jedem gesprochenen Wort hatten sich auf ihm die Gefühle abgezeichnet. Sie las in den Zügen Macht, den Triumph, und der Mund hatte sich noch weiter geöffnet, damit das Blut mehr Platz bekam, um nach außen sickern zu können. Der Maler und sein Bild bildeten tatsächlich eine Einheit.
»Möchtest du noch etwas fragen, Jane?«
»Ja«, sagte sie, »das möchte ich. Ich will wissen, was das Bild mit mir zu tun hat.«
»Oh, das ist ganz einfach. Es mag dich.«
»Was?«
»Es will dich!«
Er hatte die letzten Worte so satt und sicher ausgesprochen, so daß Jane überzeugt war, daß er sie ernst meinte. Was sie hier erlebte, war mit Worten nicht zu erklären, das mußte sie hinnehmen.
»Bist du bereit,
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