Blutgesicht
Ich zeige es nur auserwählten Personen. Du kannst stolz darauf sein, daß du dazugehörst…«
Er ließ seine Worte ausklingen. Auch für Jane Collins wurden sie schwächer und schwächer. Sie dachte auch nicht mehr an Lassalle. Er war völlig in den Hintergrund getreten. Für sie existierte einzig und allein das Bild.
Sie stand davor. Atmete durch die Nase. Schaute gegen das Motiv. Sah IHN!
Nathan Lassalle hatte sich selbst perfekt gemalt. Jede Palte in der Gesichtshaut. Jede Haarsträhne, jedes Härchen der Augenbrauen. Die rauhen Lippen, das recht spitze Kinn, auch die Kleidung des Mannes, da stimmte einfach alles.
Es war ein Bild, ein Gemälde – oder?
Zu erklären war es nicht, aber Jane Collins verlor ihre Sicherheit, je länger sie das Bild betrachtete. Da kam ihr plötzlich in den Sinn, keine gemalte Gestalt vor sich zu sehen. Der Mann auf der Leinwand wirkte so verdammt echt, als wollte er jeden Augenblick aus dem Rahmen hervorsteigen.
Der Körper war auch nicht flach gemalt. Er besaß eine gewisse Tiefe. Wie jemand, der sich aus dem dunklen Hintergrund nach vorn geschoben hatte, aber zurückgehalten wurde und die Leinwand so nicht mehr verlassen konnte.
Jane interessierte nur das Gesicht. Ein gemaltes. Ein echtes? Sie war so durcheinander. Durch das lange Starren wurden die Augen beeinträchtigt. Zwar nahm sie die Umrisse auch weiterhin wahr, nur lösten sie sich jetzt auf. Das Bild wurde soßig, und Jane mußte einfach über ihre Augen wischen, um wieder klarer zu sehen.
Es half. Jetzt sah sie das Bild klarer. Wieder trat jede Einzelheit zum Vorschein. Im ersten Augenblick wußte sie nicht, wen sie vor sich hatte. War es nun der echte Nathan Lassalle? Oder war es sein Porträt?
Wieder fiel ihr der Traum ein. Da hatte sie das schreckliche Blutgesicht gesehen, und später hinter dem Dachfenster ebenfalls. Hier sah sie es, aber es blutete nicht. Sie fragte sich, warum sie dann all das Blut auf der Haut entdeckt hatte?
Die Lippen zuckten!
Nur kurz. Sie hatten sich für einen winzigen Moment zusammengezogen. Einen Kuß wollte der Mund damit sicherlich nicht andeuten. Er nahm wieder seine normale Breite an und öffnete sich sogar.
Jane hielt den Atem an. Jetzt stand sie da und konnte überhaupt nicht mehr denken. Es war einfach furchtbar. Daß sich das gemalte Motiv bewegt hatte, darüber mußte sie erst einmal hinwegkommen. Es war für sie zu unbegreiflich, und das Erschrecken saß tief in ihr.
Eine Täuschung? Spielte man ihr etwas vor? Oder waren ihre Nerven zu überreizt?
Eine Antwort konnte sie sich selbst nicht geben. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als weiterhin auf das gemalte Gesicht zu schauen, und sie entdeckte dabei, daß die Lippen nicht mehr fest aufeinander lagen. Der Mund hatte sich geöffnet. Sie schaute auf einen Spalt, und konnte auch in den Mund hineinblicken, obwohl sie dort nichts sah, denn er wirkte wie eine dunkle I [Ohle. An den Lippen tat sich etwas. Von hinten her hatte sich etwas nach vorn geschoben und auch den Spalt erreicht. Etwas Dunkles, das flüssig und zugleich zäh war.
Es quoll nach vorn.
Jane hielt den Atem an, als sie die rote Farbe sah. Ein dunkles Rot, abstoßend für sie und zugleich faszinierend, denn wegschauen konnte sie nicht.
Aus dem Mund drang Blut!
Häßliches, rotes, dickes und für sie einfach widerliches Blut. Altes Blut aus einem alten Körper, den es so gar nicht geben durfte. Es hielt sich auch nicht auf den Lippen, sondern bekam auch weiterhin Druck und mußte der Erdanziehung folgen, denn es sickerte über die Unterlippe hinweg und rann als Streifen am Kinn entlang nach unten. Es war nicht der einzige Blutstreifen, der aus dem Mund quoll, denn an den Winkeln passierte das gleiche.
Auch hier verließ die zähe, rote Flüssigkeit die Mundhöhle und fand ihren Weg in die Tiefe. Zugleich öffnete sich die Haut an beiden Wangen. Sie riß einfach weg, als hätte sie einem inneren Druck nicht mehr standhalten können. Rote Perlen erschienen, bekamen Nachschub und verschmierten auf der Haut.
Die Stirn blieb ebenfalls nicht mehr sauber. Dort riß die dünne Haut auch auf. Vom Ansatz der Nase bis hin zum Ansatz der Haare erschien ein Streifen, aber auch an den Seiten blieb die Haut nicht so wie sie war.
Das Blut fand seine Bahn. Es sickerte aus zahlreichen Poren, verteilte sich auf dem Gesicht, beschmierte das Kinn, klebte mittlerweile überall und entstellte die sowieso schon häßliche Fratze noch mehr.
Das Gesicht glotzte Jane an.
Es
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