Blutgold
Zimmer stehen geblieben, denn nun
war er wegen Mordes an seiner Frau verhaftet. Alex Kerlin war unterdessen zu
einem anderen Mandanten auf die örtliche Polizeiwache gerufen worden und hatte
Jims Einladung auf einen Tee und ein Sandwich ausgeschlagen.
»Schade«,
bemerkte Hendry, während er ihr hinterherblickte.
»Interessiert an Ms Kerlin, Jim?«
»Nettes Mädchen«, antwortete er. »Trifft man in unserer Branche nicht
oft, oder?«
Ich dachte darüber nach, dass ich nun zwar seit mehreren Jahren immer
wieder mit Hendry zusammenarbeitete, aber kaum etwas über sein Privatleben
wusste. Irgendwann war er einmal verheiratet gewesen, doch er sprach nie von
seiner Ex-Frau.
»Also sind Sie auf der Suche?«, fragte ich.
»Seien Sie immer auf der Suche«, entgegnete er und zupfte an der Spitze
seines Schnurrbarts. »Sonst können Sie sicher sein, dass Sie tot sind.«
Wir tranken unseren Tee, und ich versuchte, die Schlagzeilen in der
Zeitung zu lesen, die der Mann am Nebentisch vor sich liegen hatte.
»Meine Ex heiratet wieder«, sagte Hendry ohne jede Überleitung.
»Nächste Woche. Die Kinder haben’s mir erzählt. Sie nennen ihn offenbar Daddy.«
»Ich … Das tut mir leid, Jim. Das wusste ich nicht.«
»Das muss Ihnen nicht leid tun, sie heiratet ja nicht Sie.«
»Ich bin nur …«
»Ich weiß, wie Sie es gemeint haben«, sagte er und gluckste leise.
»Wie viele Kinder haben Sie?«, fragte ich.
»Zwei Mädchen. Wir hatten auch einen Jungen, aber der hat es nicht
geschafft.«
Ich verkniff es mir, noch einmal zu sagen, es tue mir leid.
»Sie haben eins von jeder Sorte, richtig?«, fuhr er fort.
Ich nickte. »Die Vorzeigefamilie.«
»Ich hätte gern einen Jungen gehabt. Wie heißt es so schön: ›Jungs
ruinieren dir das Haus, Mädchen die Nerven.‹ Stimmt das?«
»So in etwa«, erwiderte ich.
»Sie leben jetzt in Manchester. Ich bekomme sie nicht besonders oft zu
sehen. Ich telefoniere jeden Abend mit den Mädchen. Aber das ist nicht
dasselbe. Man verpasst alles Mögliche.«
»Fahren Sie hin – zu der Hochzeit, meine ich?«
»Sind Sie völlig bescheuert?«, fragte er und sah mich ungläubig an.
»Seit der einstweiligen Verfügung darf ich ihr nicht näherkommen als
zweihundert Meter.« Er zwinkerte und lächelte, sodass ich nicht sagen konnte,
ob er nur scherzte.
Als
ich nach Hause kam, hatten Debbie und Natalia schon Abendessen gemacht. Natalia
trug Kleidung von Debbie. Und sie sah jünger aus als am Vorabend. Sie hatte
sich leicht geschminkt und ihre Haare gewaschen und frisiert. Sie und Debbie
gingen schweigend in der Küche umher, hantierten mit Töpfen und Pfannen und
lächelten einander höflich zu, wenn sie sich in die Quere kamen.
»Scheint
doch alles ganz gut zu laufen«, sagte ich und deutete auf Natalia, die den
Tisch deckte.
»Was bleibt mir übrig?«, versetzte Debbie, doch an ihrem Tonfall
erkannte ich, dass sie die Situation einstweilen zähneknirschend akzeptiert
hatte.
Penny und Shane saßen im Wohnzimmer auf dem Boden und spielten mit
einem Teeservice. Penny hatte Tassen und Untertassen für einige ihrer Puppen
gedeckt, während Shane auf einem Plastikapfel kaute und mit einer kleinen
Plastikgabel auf den Boden klopfte. Sie blickten auf und lächelten, als sie
mich in der Tür stehen sahen. Dann wandten sie sich wieder ihrem Spiel zu. Ich
ging zu ihnen, küsste die beiden auf den Kopf und roch dabei den Duft ihres
Shampoos.
Es klingelte an der Haustür, und zu meiner Überraschung stand Karol
Walshyk davor. Er trug offenbar seinen besten Anzug und hatte eine Flasche Wein
in der Hand.
»Ich habe ihn angerufen, weil ich ihm sagen wollte, wie es Natalia
geht«, erklärte Debbie, während er und Natalia sich in der Küche unterhielten.
»Ich habe ihm vorgeschlagen, zum Abendessen zu kommen. Ich dachte, es wäre
schön für sie, wenn sie sich mit jemandem unterhalten kann.«
»Du bist die Beste, Debs«, sagte ich.
Es
gab Hähnchen und Kartoffeln aus dem Backofen. Natalia und Karol unterhielten
sich viel auf Tschetschenisch, was Karol dann für uns übersetzte. Wir vermieden
es, über Natalias Mann oder ihre Gefühle für Irland zu sprechen. Debbie fragte,
ob Natalia Kinder habe, was Karol beantwortete, ohne Natalia zu fragen,
vermutlich, um das Thema der Fehlgeburt, durch die er sie überhaupt erst
kennengelernt hatte, zu meiden. Doch Natalia musste das Wesen der Frage
irgendwie verstanden haben, denn sie wurde unvermittelt stiller und sprach den
Rest des Abends nicht mehr
Weitere Kostenlose Bücher