Blutgold
Anwalt anrufen?«, fragte Coyle und lachte gezwungen.
»Meinen Sie, Sie werden einen brauchen?«
»Ich war Buchhalter«, sagte er und schob die Brille mit einem
dicklichen Finger die Nase hinauf.
»Hat Ihr Arbeitgeber nichts dagegen, dass Sie sich so lange
freinehmen?«
»Nein, der … der war einverstanden.«
Ich ahnte allmählich, worauf das alles hinauslief: ein Mann in
mittleren Jahren, der seine Arbeit und seine Familie verlässt, um Zwiesprache
mit der Natur zu halten.
»Was ist passiert? Hat man Sie entlassen?«
Er sah mich an und lachte erneut nervös. »Wie kommen Sie denn darauf?«,
fragte er und wandte rasch den Blick ab.
»Ich weiß nicht. Vielleicht irre ich mich, aber das glaube ich nicht«,
sagte ich. »Mir ist das egal. Das ist ja nicht verboten.«
Eine Weile gingen wir schweigend nebeneinander her.
»Zuerst die Scheidung«, sagte er schließlich. » Dann habe ich den Job an den Nagel gehängt.«
»Was ist passiert?«, fragte ich. Vermutlich wollte er gerne reden.
Vielleicht war ich nur der Erste, der gefragt hatte.
»Wir schienen einfach so dahinzutreiben. Damals haben wir es beide
nicht gemerkt. Dann ging unser Jüngster auf die Universität, und wir waren
allein in unserem großen Haus. Wir dachten, das würde toll – wir könnten uns
ganz neu kennenlernen. Stattdessen stellten wir beide fest, dass der andere zu
einem Menschen geworden war, den wir eigentlich nicht mochten.«
»Das tut mir leid.«
Nachdem Coyle einmal angefangen hatte zu reden, wollte er jetzt
offensichtlich auch fortfahren.
»Ich habe ihr das Haus überlassen und einen Campingbus gekauft. Man hat
abends viel Zeit zum Nachdenken, wenn man allein ist. Wissen Sie – ich habe
festgestellt, dass sie recht hatte. Ich war jemand geworden, den nicht mal ich
selbst mochte. Ich war enttäuscht von mir. Ich hatte nie irgendwelche großen
Abenteuer erlebt. Dann hörte ich von der Goldmine hier. Irgendwie hatte ich das
Gefühl, ich müsste hierherkommen. Um mein Glück zu finden.«
»Und das haben Sie doch auch«, sagte ich. »Der Erfolg gibt Ihnen
recht.«
Röte kroch vom Hals hinauf in sein Gesicht.
»Mr Coyle?«
Er blickte hinüber zu den Leuten rechts von mir, dann schüttelte er so
knapp den Kopf, dass ich mir nicht sicher war, ob ich diese Geste wirklich
gesehen hatte.
»Was? Aber ich habe doch das Foto gesehen?«
Er nickte. »Habe ich online gekauft«, gestand er, ohne mich anzusehen.
»Warum?«
Er hob den Kopf. »Würden Sie wollen, dass Ihre Kinder Sie für einen
totalen Versager halten? Ich bin fünfzig Jahre alt, und ich fahre in einem
bescheuerten Campingbus durch Irland. Wie sollen meine Kinder da wohl stolz auf
ihren Vater sein? Nicht mal ich selbst bin stolz auf mich.«
»Was hat Sie dazu veranlasst?« Ich blieb stehen, um Coyle meine volle
Aufmerksamkeit zu schenken. Die übrigen Sucher neben uns gingen langsam weiter
den Fluss hinauf. Coyle blieb ebenfalls stehen, doch während wir uns
unterhielten, ließ er den Blick über die Bäume hinter mir schweifen, als hätte
er Angst, mir in die Augen zu sehen.
»Eine der Zeitungen wollte mich interviewen. ›Der Spinner, der draußen
am Fluss campiert und nach Gold sucht.‹ Ich wusste, sie würden sich über mich
lustig machen, egal ob ich zusagte oder nicht. Also dachte ich, ich erzähle
denen einfach, ich hätte was gefunden. Dann konnten sie sich nicht über mich
lustig machen, oder? Also habe ich mir im Internet ein Goldnugget besorgt.«
»Wie teuer?«
Er murmelte eine Zahl von mehreren Hundert Euro. Die finanziellen Kosten
waren ohnehin irrelevant – die verlorene Selbstachtung war ein viel höherer
Preis.
»Wie haben Ihre Kinder reagiert?«
»Die fanden es toll.«Er lächelte. »Plötzlich war ich ein Held für sie.«
»Ein Vater ist für seine Kinder immer ein Held«, sagte ich.
»Ihre Kinder müssen noch sehr klein sein.« Er sah mich an, die Augen
hinter den Brillengläsern zusammengekniffen.
»Das stimmt.«
»Wenn sie klein sind, ist man ein Held«, sagte er. »Wenn sie älter
werden, fangen sie an, einen zu beurteilen. Wie lange arbeitest du? Warum
ziehst du deine Arbeit uns vor? Warum hast du uns beigebracht, nicht zu lügen,
obwohl du selbst ständig lügst?«
»Aber sie kommen darüber hinweg«, redete ich ihm gut zu.
»Wir machen Fehler«, sagte Coyle.
»Ich bin sicher, Ihre Kinder sind stolz auf Sie, egal was Sie getan
haben.«
Er lächelte mich verlegen an. »Erzählen Sie’s nicht weiter, ja?«
Ich nickte beruhigend. »Kein
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