Blutheide
hatte er leichtes Fieber. Er rechnete diesmal nicht damit, dass es ihn so schnell und erholsam wieder verlassen würde. Dafür waren die Ereignisse momentan zu überstürzt über ihn hereingebrochen. Aber nun ließ es sich nicht mehr ändern. Auch dieser Fall war am Laufen, trotzdem er den davor noch nicht erledigt hatte. Er könnte sich selbst dafür ohrfeigen. Warum war er bloß dieses Mal so ungeduldig gewesen und hatte sich nicht im Griff gehabt? Auch hatte er seine Beobachtungen für sein letztes Meisterstück nicht wie üblich sauber und gewissenhaft über einen längeren Zeitraum durchgeführt, sondern viel zu schnell. Und ja, er war auch abgelenkt gewesen. Zu sehr freute er sich schon auf das große Finale: auf die blöden Augen des Herrn Kommissars, wenn der den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen hatte. Von dem nach Erfolgen geifernden Team ganz zu schweigen, das jetzt sogar von diesem Weibsbild unterstützt wurde. Die würde hier eh nichts auf die Reihe kriegen. Er hatte sich über sie erkundigt, und was da zutage getreten war, war für ihn höchst interessant gewesen. Sicherlich konnte er das Wissen über ihre jüngste Vergangenheit an ihrer Münchener Arbeitsstelle irgendwann einmal gut gebrauchen. Die Zeit würde kommen, das spürte er geradezu. Ein diabolisches Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. Als er sich dessen bewusst wurde, setzte er sofort wieder eine gelangweilte, unbeteiligte Miene auf. Das hatte er durch jahrelange Übung gelernt. Es hatte ihn seine Kindheit und Jugend überstehen lassen und war ihm inzwischen in Fleisch und Blut übergegangen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Seine Mutter hatte irgendwann sogar angefangen, ihn wegen seiner unbeteiligten Miene zu loben, wenn sie ihn züchtigen musste. Seine Mutter hatte Geschrei gehasst. Ganz besonders aus seiner Kehle. Jetzt konnte sie ihn nicht mehr züchtigen, aber seine perfekte Zurschaustellung von Unbeteiligtsein war geblieben, und er konnte sie hervorholen, wann immer er wollte. Im Stillen dankte er jetzt seiner Mutter dafür. Durch sie hatte er einiges gelernt, was für sein Leben später von Vorteil war.
Er merkte, wie ihm der durch die Klimaanlage erkaltete Schweiß die Stirn herablief. Die Leute würden denken, es lag an der sommerlichen Hitze, und das war auch gut so. Nur er wusste, dass es sein ganz persönliches Fieber war. Er schaute auf seine Uhr, denn der Gedanke an seine Mutter hatte ihn zu der Alten vom Obelisken der Herberge Plus geführt. Diese Schmarotzerin! Sie hatte es nicht anders verdient. Gleich nachdem er die Sachen bei dem Mädchen abgeliefert und dort nach dem Rechten gesehen hatte, würde er sich zur Alten aufmachen. Leider war dieser Fall durch den frühzeitigen Beginn seines Meisterstücks für ihn in den Hintergrund gerückt und nur noch eine lästige Pflicht geworden. Ursprünglich hatte er sich das anders vorgestellt, aber nun war es eben nicht mehr zu ändern. Er konnte einfach nichts dagegen tun, wollte aber dennoch auch die Alte in seiner Planung nicht vernachlässigen. Letztlich, wenn alles vollbracht war, würde auch sie ein Puzzlestück in seinem Gesamtwerk sein. Deswegen durfte sie nicht fehlen. Auch durch sie wurde es vollständig. Das hatte er vorher so festgelegt. Er hätte nur gern mehr und intensiver in diesem Fall geschwelgt. Glücklicherweise konnte er sich dennoch an seinen chronologischen Ablauf halten, den er in so zermürbender, gedanklicher Kleinarbeit fixiert hatte. Das war doch immerhin etwas und ließ sein Herz einen kleinen Hüpfer der Vorfreude machen. Endlich war er an der Kasse an der Reihe. Er legte seine wenigen Einkäufe auf das Fließband. Durch diesen banalen Vorgang erschien ein Bild in seinem Kopf. Ja, so war es gewesen. Genauso, wie jetzt seine Waren unvermeidlich zur Kassiererin transportiert wurden, war ihm heute das Mädchen in die Arme gelaufen. Die Gelegenheit war einfach zu günstig gewesen. Nichts ahnend. Genau wie ihr Vater, den sie noch nie gesehen hatte, nichts von ihrer Existenz ahnte. Ganz im Gegensatz zu ihm. Er hatte es damals bereits gewusst. Gleich als das Balg auf die Welt gekommen war. Und nur zur Sicherheit hatte er es sich auch noch bestätigen lassen. Es war für ihn ein Leichtes gewesen, den Vaterschaftsbeweis zu erbringen – wozu hatte er schließlich seine guten Kontakte.
Er selbst hatte auch nie einen echten Vater gehabt. Nur die Erinnerung an ihn, die jedoch vermischt war mit den Berichten seiner Mutter. Sie hatte immer gesagt: »Du
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