Blutheide
Schulranzen und Gedicht hatten sie hellhörig werden lassen.
»Na, ich sag doch, ich hab hier ins Hotel ein Paket geschickt bekommen«, antwortet Bene, froh über eine Reaktion von Katharina, obwohl ihm das gefaselt nicht gefiel. »In dem Paket war ein bonbonfarbener Schulranzen, und in dem Ranzen steckte ein Zettel mit einem blöden Zeug drauf geschrieben. Ich hab’s nur gefunden, weil ich …«
Schon wieder schnitt Katharina ihm unvermittelt das Wort ab. »Bene, was genau steht auf dem Zettel, und wie sieht der Ranzen aus – bitte, ich muss das wissen!«
Jetzt war es Bene, der irritiert war. »Ich krieg das nicht mehr ganz genau zusammen, ich hab den Ranzen weggestellt. Irgendwas mit beten und sühnen und mit Kindern. Ach ja, und Machtplan, oder so. Abgefahren, oder? Und der Ranzen ist schreiend pink und hat lauter weiße Schnörkel, halt so einen Mädchenkram drauf. Warum, zum Teufel, ist denn das jetzt so wichtig, Katharina?«
»Bene, pass auf«, antwortete Katharina energisch, während ihr Blick im Flur der Wohnung auf den Ranzen von Leonie fiel. Er war pink, mit weißen floralen Elementen und weißen Kanten an den Außen- und Seitentaschen. »Es kommt gleich jemand von meinen Kollegen bei dir im Hotel vorbei und holt den Ranzen ab, okay? Ich kann hier nicht weg, aber ich brauche den Ranzen. Bitte gib ihn einfach mit und stell keine Fragen, ich erkläre es dir später.«
Katharina drückte ohne weitere Verabschiedung oder Erklärung die Taste, die das Gespräch beendete, und merkte, wie ihre Beine zitterten. Zu ihrem ersten Gedanken, den das Gespräch mit Leonie hervorgebracht hatte, war nun ein noch weit schlimmerer Verdacht hinzugekommen. Und das ausgerechnet von Bene! Sie musste jetzt sofort Ben informieren, wie auch immer sie das sauber hinbekommen sollte, war im Moment eher egal. Jetzt ging es einzig und allein darum, Lauras Leben zu retten.
17.03 Uhr
Beinahe bedächtig schob er seinen Einkaufswagen durch den riesigen Supermarkt, der etwas außerhalb Lüneburgs nahe der Dahlenburger Landstraße lag. Normalerweise ging er hier nicht einkaufen, doch im Moment war es besser, in der Anonymität zu versinken. Heute kaufte er nicht nur für sich ein. Sicherlich würde es dennoch nicht viel sein, denn auch hier musste er darauf achten, was er in seinen Einkaufswagen lud. Lüneburg war klein, und trotz anonymer Supermarktfiliale musste er auf der Hut vor den neugierigen Blicken dieser Kleinstädter sein, die ihn im Zweifel nicht nur erkennen würden, sondern auch wussten, dass er allein lebte und auf soziale Kontakte keinen Wert legte. Und dass er schon gar niemanden zu sich nach Hause in seine Dachgeschosswohnung einladen würde. Sein Einkaufswagen musste aussehen wie der eines Singles. So einfach war das.
Bisher hatte er ein paar Tütensuppen, drei Dosen Ravioli und ein Glas Würstchen sowie einen Beutel Äpfel, zwei Bananen und einen Joghurt im Wagen. Alles Dinge, die man nicht großartig zubereiten musste. Jetzt stand er vor dem Regal mit den Keksen und suchte es mit den Augen ab. Wo waren bloß die verdammten Butterkekse? Plötzlich fühlte er ein hartes Tippen auf seiner rechten Schulter. Abrupt versteifte sich sein Rücken. Hatte ihn jemand erkannt? Langsam drehte er sich um. Ihm gegenüber stand ein Supermarktangestellter, der eben noch ein Regal weiter Marmeladengläser eingeräumt hatte.
»Kann ich Ihnen helfen? Sie sehen aus, als suchten Sie was Bestimmtes«, sagte der Angestellte und lächelte ihn devot an, wobei er seine gelblichen, ungepflegten Zähne zeigte.
Der Mann bekam nur ein unwirsches »Danke, ist schon gut« entgegen geschleudert und stand Sekunden später wieder allein zwischen seinen Regalen.
Natürlich kaufte er jetzt überhaupt keine Butterkekse mehr. Wozu auch? Sie wären eh nicht für ihn gewesen, und die Idee, sie zu kaufen, war nur einem Anflug seiner Großmut geschuldet, die bereits wieder verflogen war. Die Kleine würde es ihm sowieso nicht danken. An ihren letzten Tagen hier auf Erden musste sie nun eben mit dem vorlieb nehmen, was er bisher in seinen Wagen gepackt hatte. Und wenn es alle war, dann war es alle, und es würde halt schneller mit ihr zu Ende gehen. Er musste in sich hinein schmunzeln: Sie war es ja sowieso gewohnt, nicht alles zu haben, was andere Kinder als selbstverständlich empfanden. Schließlich hatte sie keinen Vater. So wie auch er nicht wirklich.
Während er an der Kasse anstand, machten seine Gedanken sich wieder selbstständig. Noch immer
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