Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutheide

Blutheide

Titel: Blutheide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K.Hanke und C. Kröger
Vom Netzwerk:
bist genau wie er.« ›Er‹ oder ›der Alte‹, so hatte sie seinen Vater bezeichnet, ihn nie beim Namen genannt. Deswegen war sein Vater für ihn heute eine Erinnerung ohne Namen. Ein Feigling. Warum sonst hatte er ihn mit seiner Mutter allein gelassen? Ihn ihr überlassen? Nun ja, vor einigen Jahren hatte er seine Eltern wieder zusammengebracht. Es war ein kleines Kunststück gewesen, doch es war ihm gelungen. Außerdem hatte seine Mutter sich dieses eine Mal geirrt. Er, er selbst, war kein Feigling! Und spätestens in ein paar Tagen würde auch der Rest der Welt es wissen und ihm sogar danken. Schließlich zeigte er mit seinem Tun nicht nur, was er drauf hatte, sondern er führte der Welt ihre Schwachstellen vor Augen. Wer außer ihm hatte dazu schon den Mumm? Und die Zähigkeit. Und den Verstand. Und …
    »Hallo, Sie da, 9,89 Euro macht das. Haben Sie nicht gehört? Sie halten hier den ganzen Betrieb auf! Geht es Ihnen nicht gut, oder was?« Die rüde Stimme der Kassiererin riss ihn aus seiner Gedankenwelt.
    »Ja, ja, ist ja schon gut«, blaffte er zurück. Er zückte sein Portemonnaie und zahlte. Dann verstaute er die Sachen in der Einkaufstüte, verließ den Markt, ging gemächlich wie ein Käufer, der es nicht eilig hatte, zu seinem Auto, schloss es auf, setzte sich hinein und fuhr nach Hause. Vor seinem Wohnhaus angekommen parkte er den Wagen, schnappte sich die Einkaufstüte und legte die Einkäufe, die für ihn selbst bestimmt waren, auf den Beifahrersitz. Mit der nun nicht mehr ganz so vollen Tüte in der Hand stieg er aus und schloss sein Auto ab. Ohne zuvor nach oben in seine Wohnung zu gehen, holte er jetzt sein Fahrrad aus dem Keller, setzte sich mitsamt der Einkaufstüte am Lenker in Bewegung und radelte in Richtung Krähensaal, dem Kleingartenverein in der Stöteroggestraße. Der Name hatte ihm schon immer gefallen: Krähensaal. Als er die Laube vor einigen Jahren in Besitz genommen hatte, war ihm – trotz des inspirierenden Namens – noch nicht bewusst gewesen, wofür er sie einmal benötigen würde. Auf keinen Fall hatte er sie übernommen, weil er ein Gartenliebhaber war. Auch kein Frischluftfanatiker. Er hatte die Laube auch nicht aktiv gesucht. Das Schicksal hatte sie ihm in die Hände gespielt, und er hatte sie festgehalten: Sie hatte dem Saufkumpan der Alten gehört, der ihm im Suff, kurz vor seinem Ende, die Laube überschrieben hatte, und in der er schon zuvor, öfter als ihm lieb gewesen war, seine Zeit totgeschlagen hatte.

    Er hatte in der Laube kaum etwas verändert. Wozu auch? Er war ja in den letzten Jahren kaum dort gewesen. Nur einmal hatte er einen Sommer lang Hand angelegt und vor allem in den Nächten eine tiefe Grube im Hausinneren ausgehoben. Hierfür hatte er die Dielen, die mit Linoleum überklebt waren, abgenommen. Da das Gartenhaus – oder vielmehr die Bretterbude – kurz nach dem Krieg einfach auf dem Rasenplatz aufgestellt worden war und kein Betonfundament aufwies, war es geradezu ein Kinderspiel gewesen, den Boden abzugraben. Die Grube hatte einen kleinen, jedoch geräumigen Kellerraum ergeben, den er wiederum durch Ziegelsteine an den Seiten befestigt hatte. Inzwischen war der geschaffene Raum nur durch eine kleine Bodenluke zu betreten, in die man hineinspringen musste. Da er zwar schmächtig gebaut, aber dank regelmäßiger Klimmzüge inzwischen recht kräftig war, benötigte er keine Leiter, um wieder aus der Grube hochzuklettern. Zudem hatte er darauf geachtet, dass sie nicht viel höher war als er, wenn er die Arme ausstreckte. Von oben hatte er die Bodenluke mit dem alten Linoleum-Belag vor neugierigen Blicken geschützt. Er hatte diesen Laubenkeller seinerzeit für etwas anderes gebraucht. Als er jedoch sein Meisterstück plante, kam er ihm gerade recht und schien ihm fast wie vom Schicksal gesandt. So wie davor bereits die Laube. Seine Eltern, die allein durch ihn wieder zu einem Paar verbunden waren, würden stolz auf ihn sein. Da war er sicher.

    Im Krähensaal kannte ihn kaum jemand und wenn, dann nahmen die einzelnen Schrebergartenkoloniefuzzies an, er sei nur ein Besucher, der sich hin und wieder ein wenig um die Laube einer Verwandten kümmerte. Er war nur selten hier und kam stets per Fahrrad. Von Anfang an war er – einer Eingebung folgend – vorsichtig gewesen. Er kannte diesen neugierigen Menschenschlag: Wenn er nur dreimal hintereinander mit seinem Auto hier aufkreuzen würde, würden sie über das Kennzeichen herausfinden, wer er war.

Weitere Kostenlose Bücher