Blutheide
dahin schon. Er drehte sich zu Julie, die immer noch neben ihm stand. Mit großen Augen und einer Mischung aus Unglauben, Wut und Fassungslosigkeit im Blick fragte sie: »Dein Bruder? Bene? Ist das wahr – Bene ist wieder in Lüneburg? Und du hast mir nichts davon gesagt?«
Benjamin Rehder fühlte sich ziemlich unwohl in seiner Haut. Genau diese Situation hatte er um alles in der Welt vermeiden wollen. Er hatte derjenige sein wollen, der Julie einigermaßen schonend über Benes Rückkehr nach Lüneburg informierte. Warum hatte er es bloß nicht gleich getan, nachdem er Bene in Lüneburg getroffen hatte? Shit! Unsicher sah er Julie an: »Glaub mir, ich wollte …«
Sie schnitt ihm das Wort ab und erwiderte mit kalter Stimme: »Ich denke, es ist besser, du gehst jetzt. Ich muss mich um Leonie kümmern, und ihr solltet doch längst aktiver auf der Suche nach Laura sein, oder etwa nicht? Nur eins, Ben, eines möchte ich von dir vorher noch wissen: Weiß Bene Bescheid?«
17.25 Uhr
Schweigend und mit schnellem Schritt ging Katharina neben ihrem Chef zum Kommissariat zurück. Er war zu Fuß zur Wohnung von Juliane gekommen, denn bei den vielen kleinen Gassen und Einbahnstraßen in der Lüneburger Altstadt war dies die schnellere Variante. Katharina war froh darüber, wenn sie jetzt neben Ben im Auto gesessen hätte, wäre die Situation noch deutlich unangenehmer gewesen. Sie liefen beinahe mehr, als dass sie gingen, das ließ eine Unterhaltung kaum zu, und so hatte sie zumindest noch ein paar Minuten Zeit, ihre verwirrten Gedanken zu ordnen.
Als Julie Ben auf die Rückkehr seines Bruders angesprochen hatte, war Katharina sofort klar gewesen, dass da mehr in der Luft lag als reine Neugier. Offenbar kannte Julie Ben nicht nur sehr gut, sondern auch schon sehr lang. Und ganz klar schien es auch eine Verbindung – was für eine auch immer – zwischen ihr und Bene zu geben. Auf Julies letzte Frage hatte Ben in der Küche lediglich den Kopf geschüttelt und leise geantwortet: »Natürlich nicht!« Der Gesichtsausdruck, den Katharina bei diesen zwei Worten an ihrem Chef beobachtet hatte schien ihr traurig, irgendwie bedrückt. Ben hatte Katharina dann mit den Worten: »Juliane hat recht, wir können hier im Moment nichts mehr ausrichten« geradezu aus der Wohnung gedrängt. Seitdem herrschte zwischen ihnen Stille. Erst als sie vor dem Kommissariat ankamen, fand Ben seine gewohnt förmliche Sprache wieder: »Wir müssen Tobi schnellstens informieren und dann klären, wie wir weiter vorgehen. Ich fürchte, Laura ist in Lebensgefahr, wir dürfen keine Zeit verlieren.«
Als sie das Büro betraten, erwartete Tobi sie schon mit einem Spruch auf den Lippen: »So hab ich das gern. Ich komme ins Büro, keiner ist da, und dann bringt mir eine Kollegin von der Streife noch ein merkwürdiges angebliches Beweisstück vorbei. Also, ich weiß ja, dass ich hier von uns der Jüngste bin, aber ein Paket mit einem Schulranzen? Wollt ihr mich …«
»Setz dich, Tobi!« Der Ton von Ben war scharf und unmissverständlich. »Wir haben ein vermisstes Mädchen, und der Schulranzen gehört ihr.«
Katharina hatte das Paket mit dem Schulranzen bereits auf der Fensterbank entdeckt. Sie war mit beiden Händen in Handschuhe geschlüpft, um mögliche Spuren nicht zu zerstören, falls Bene dies nicht schon auf seiner Suche nach einer Adresse im Ranzen getan hatte und hatte alles zum Besprechungstisch geholt, an den sich nun auch der etwas kleinlaute Tobias und Ben begaben.
»Sorry, Chef, wenn ich gewusst hätte …«
»Ja, ja, schon gut. Vielleicht gewöhnst du dir einfach mal ab, ständig dumme Sprüche zu klopfen.«
Bens Anspannung war beinahe greifbar, und Tobi sah geknickt zu Katharina.
Die Kommissarin ergriff die Initiative. Für weiteres Geplänkel blieb keine Zeit, und die Situation war auch ohne Tobis blöde Sprüche schon unangenehm und merkwürdig genug. Sie mussten vorankommen. »Pass auf, Tobi, Folgendes ist passiert: Laura Ronneburg, sieben Jahre alt, ist heute auf dem Weg von der Schule nach Hause spurlos verschwunden. Es gibt kein Erpresserschreiben oder sonst eine Nachricht, aber ihr Ranzen ist im Hotel Heideglanz abgegeben worden. Ich wurde von dort informiert und habe ihn deswegen auf dem schnellsten Wege hierher bringen lassen. Hat die Kollegin herausfinden können, wer den Ranzen abgegeben hat? Hat sie was dazu gesagt?«
Katharina hoffte inständig, dass Tobi jetzt nicht fragte, warum gerade sie informiert worden war und von
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