Blutheide
Zum Vorschein kamen nackte, mit Krampfadern übersäte Beine, die in schneeweißen Hotel-Pantoffeln steckten. Der Anblick widerte ihn an.
»Meinste, ich kann die behalten?«, fragte sie ihn jetzt.
»Sicher«, entgegnete er achselzuckend und wendete sich der Minibar zu. »Ich nehme an, die hast du schon entdeckt?«
Er wartete erst gar keine Antwort ab, sondern öffnete die Schranktür, hinter der die üblichen Alkoholika standen – zu seiner Überraschung alle noch ungeöffnet.
Die Alte hatte wohl sein Erstaunen bemerkt. Als wenn sie sich für den Nichtgebrauch der Minibar entschuldigen müsste, senkte sie ihren Blick und nuschelte: »Ich hab mir halt was mitgebracht. Wusste ja nicht, dass die was hier im Zimmer parat haben.«
»Ja, ja«, wiegelte er ab – er hatte ihre devote Haltung noch nie ausstehen können, da sie ihm nicht ehrlich erschien. »Ist ja schon gut. Möchtest du jetzt was davon?«
»Ist das denn in meinem Gewinn inbegriffen? Nicht, dass ich das nachher noch löhnen muss«, fragte sie nun gierig und trat einen Schritt auf die Minibar zu.
Mit den Worten »Fühl dich einfach eingeladen« reichte er ihr ein kleines Fläschchen Wodka. Er machte sich nicht die Mühe, den Inhalt in ein Glas zu füllen. Sie war es gewohnt, aus der Flasche zu trinken.
Die Alte warf ihm einen dankbaren Blick zu und goss sich den Inhalt des Fläschchens in den Hals.
»Warum bist du eigentlich so nett zu mir? So kenn ich dich gar nicht«, wollte sie wissen.
»Zeiten ändern sich«, sagte er lapidar und betrachtete sie von oben bis unten. Früher war sie durchaus einmal attraktiv gewesen. Noch heute konnte man unter ihrem versoffenen Gesicht zarte Züge erkennen, und auch ihre Statur ließ auf eine ehemals gute Figur schließen. So hatte sie seinerzeit auch ihren Saufkumpanen an sich binden können. Der hatte ihr regelrecht aus der Hand gefressen und alles andere darüber vergessen. Was für ein sagenhafter Idiot, der nur seinen niedersten Instinkten gefolgt war. Jeglicher Auseinandersetzung war er aus dem Weg gegangen, hatte sich lieber dem Rausch hingegeben, als Persönlichkeit zu zeigen, seinen Mann zu stehen. Und sie? Die Alte hatte ihn für ihre Zwecke eingespannt. Sie hatte nie gearbeitet und allein von dem gelebt, was der Säufer ihr beschafft und dafür anderen genommen hatte. Jetzt hatte sie nichts mehr. Außer Hartz IV und ihrer Sucht. Bald würde auch das vorüber sein. Er nahm den vom Hotel bereitgelegten Block und den dazugehörigen Stift vom Schreibtisch, der neben der Minibar stand, und reichte ihr beides mit den Worten: »Schreib mir doch bitte etwas auf.«
Sie nahm den Block entgegen, runzelte ihre faltige Stirn und fragte: »Ich? Warum?«
»Weil ich es will«, forderte er scharf, besann sich dann aber. Freundlicher fügte er eine Lüge hinzu, die ihr die Zweifel nehmen sollte, um es ihm einfacher zu machen: »Ich brauch das für ein nächstes Preisausschreiben. Du willst doch noch mal etwas gewinnen, oder?«
»Na klar! Sag das doch gleich.« Auf dem Gesicht der Alten breitete sich ein zufriedenes Lächeln aus. »Was soll ich denn schreiben? Worum geht es in dem Preisausschreiben? Und was gibt es zu gewinnen?«
»Schreib erst mal. Ich diktier es dir. Worum es in dem Preisausschreiben geht, erzähl ich dir später. Das erhöht die Spannung«, entgegnete er knapp.
»Ach, Jungchen, warum du bloß immer so geheimnistuerisch sein musst. Das hab ich noch nie an dir verstanden«, murmelte sie mehr zu sich selbst als zu ihm. Dann schaute sie ihn erwartungsvoll an und sagte: »Leg los.«
Langsam, Wort für Wort betonend, diktierte er jetzt: »Wer nur sühnen will, was sich sühnen lässt ohne Schaden, der richtet nur noch größeren Schaden an.«
Nachdem die Alte konzentriert alles aufgeschrieben hatte, legte sie den Block mitsamt dem Stift zurück auf den Schreibtisch und schaute ihn an. Kopfschüttelnd fragte sie: »Was soll das denn? Wer denkt sich denn so was aus? Du etwa? Passen würd es ja zu dir.«
»Nein, das ist nicht von mir«, antwortete er kurz, bevor er mit belegter Stimme fragte: »Hast du jemandem von uns erzählt?«
Die Alte lachte leise auf: »Nein, Jungchen, wem denn? Ich hab doch niemanden mehr. Und denen vom Amt würde ich nicht grad auf die Nase binden, dass ich bei einem Preisausschreiben gewonnen habe. Die sind doch zu allem fähig. Nachher hätten die mir den Gewinn noch weggenommen oder mir weniger gezahlt, weil ich eine Nacht in einer Luxusherberge wohnen kann. Ich bin doch
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