Blutheide
an der Schulter an. Sie rührte sich noch immer nicht. Bene musste schlucken. Er trat einen Schritt zurück und suchte mit seinen Augen das Hoteltelefon. Es stand auf der anderen Seite des Bettes. Auf seinem Weg zum Telefon schnappte er sich die Caipirinha vom Tablett und stürzte sie hastig hinunter. Der scharfe Alkohol, der sonst so gar nicht sein Fall war, brannte in seiner Kehle. Er brauchte das jetzt, und wie es aussah, würde die Frau den Cocktail sowieso nicht mehr trinken können. Was war das nur für ein Tag? Auf jeden Fall nicht seiner, das war mal sicher.
Bene stellte das leere Glas neben das Telefon, hob den Hörer ab und ließ ihn gleich darauf wieder auf die Gabel sinken. Er starrte auf seine zitternde Hand und dann wieder auf die alte Frau im Bett vor ihm. Sie war eindeutig tot. Ob sie sich deswegen das Zimmer hier genommen hatte? Um sich totzusaufen? Bene lief ein Schauer über den Rücken. Eigentlich wollte er mit der ganzen Sache nichts zu tun haben. Warum hatte gerade er die Frau finden müssen? Ob sie das geplant hatte? Aber er kannte sie doch gar nicht, bis auf das bisschen Hilfe mit ihrem Koffer. Nein – wenn sie ihr Leben tatsächlich bewusst hatte beenden wollen, dann wäre die Gefahr viel zu groß gewesen, dass er sie zu schnell gefunden hätte. Das konnte nicht geplant gewesen sein.
Er hatte in der Vergangenheit schon genug Ärger am Hals gehabt, und dies hier würde seinem Ruf bestimmt nicht gut tun. Bene trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Er fühlte sich unwohl in Gesellschaft der Toten. Ohne großartig nachzudenken und nur seinem Gefühl folgend, wendete er sich vom Bett ab, nahm den Hörer des Zimmertelefons erneut in die Hand, um ihn dann mit seiner Barschürze abzuwischen. Ebenso tat er es mit dem leeren Cocktailglas. Er wusste zwar nicht, was hier passiert war, aber ganz offensichtlich war er wieder in irgendeine merkwürdige Geschichte geraten. Es ging ihm einfach besser, wenn man hier später nicht gleich auf seine Spuren stoßen würde, auch wenn er sich – diesmal – nichts vorzuwerfen hatte. Er warf einen letzten, unruhigen Blick durch das Zimmer, nahm das Tablett an sich, schnappte sich das leere Cocktailglas und ging wieder hinaus auf den Hotelkorridor. Dort zog er sein Handy aus der Hosentasche und wählte im Gehen eine Telefonnummer. Als Bene gerade wieder auflegen wollte, meldete sich die verschlafene Stimme seines Bruders: »Ja, hallo. Rehder.«
»Ben, Bene hier. Ich brauche deine Hilfe«, sagte Bene und fügte dann nach einer kurzen Pause hinzu: »Mal wieder – leider.«
01.58 Uhr
Bene wartete draußen vor dem Hotel auf seinen Zwillingsbruder. Er hatte nach dem Anruf bei Ben in aller Hast das Cocktailglas abgewaschen und es wieder zurück zu den anderen Gläsern gestellt. Dann hatte er mit zitternden Händen die Kasse in der Bar eingeschlossen und die letzten Handgriffe erledigt, die zum Schluss der Schicht nötig waren. Zum Glück hatte er ja fast alles bereits fertig gehabt, bevor der Anruf der Frau gekommen war. Mehr als jetzt noch nötig gewesen war, hätte er in seiner Verfassung kaum hinbekommen, aber so konnte er vor der Tür warten, ohne womöglich noch weiteren Ärger zu riskieren, weil er seinen Dienst nicht anständig beendet hatte.
Ben, der im Laufschritt unterwegs war, sah ihn schon von Weitem auf dem Vorplatz des Hotels auf und ab wandern. Zum Zeitpunkt von Benes Anruf hatte er tatsächlich gerade geschlafen. Er hatte sich kurz nach Katharinas SMS mit der Information des Einsatzleiters ins Bett gelegt. Er wusste, dass er heute Nacht nichts mehr würde ausrichten können und wollte im Bett noch über den Fall nachdenken. Entspannt in der Horizontalen konnte er das immer schon recht gut, dennoch war er wohl über seine Grübelei eingeschlafen. Erst das Klingeln seines Handys hatte ihn wieder geweckt.
Nach Benes kurzer und aufgeregter Schilderung am Telefon hatte Ben sich nicht die Mühe gemacht, sich sorgfältig anzukleiden. Er hatte sich bloß schnell eine Jogginghose und einen alten Sweater übergestreift, seine Laufschuhe angezogen und dann war er schon aus der Tür. Er wollte jetzt so schnell wie möglich bei seinem Bruder sein, der am Telefon völlig durch den Wind gewesen zu sein schien. Als Polizist wäre es Bens Pflicht gewesen, sofort nach Benes Anruf die Kollegen zu verständigen und sie ebenfalls zum Leichenfundort zu schicken. Er hatte es nicht getan. Bene hatte den Eindruck gemacht, als hätte er sich mal wieder in einen
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