Blutheide
Friedberg aufgetaucht war, waren ihre guten Vorsätze ganz vergessen. Katharina kannte den Grund dafür sehr genau. Die ganze Situation kam einem Déjà-vu gleich und ihre Angst hatte mit ihrem letzten Fall in München zu tun. Damals hatte sie ebenfalls auf eine hingeworfene Bemerkung mit Eigeninitiative reagiert und diese dann naiv am großen Besprechungstisch kundgetan, obwohl sie noch keine konkreten Ergebnisse hatte vorweisen können. Das hatte schlimme Folgen für sie gehabt. Und vor allem für Helen. Herrje, du bist hier aber nicht in München, sondern in Lüneburg, und Friedberg ist nicht Maximilian, schalt Katharina sich selbst, aber es half nichts. Obwohl sie wusste, dass ihr Schweigen hier und heute der falsche Weg war und einzig auf einem Trauma beruhte, das sie immer noch nicht vollständig aufgearbeitet hatte, konnte Katharina nicht aus ihrer Haut. Die Erinnerung an damals schnürte ihr nach wie vor die Kehle zu und ihre Lippen waren wie versiegelt. Dann war die Teambesprechung auch schon wieder vorbei und alle machten sich an ihre ihnen zugeteilten Aufgaben.
Jetzt, zurück an ihrem Schreibtisch und mit mehreren Schlucken Kaffee intus, hatte Katharina sich langsam aber sicher wieder im Griff. Sie hatte es geschafft, die schweren Gedanken zu verscheuchen und sich wieder auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Ihr Blick ruhte auf dem Umschlag mit den Ausdrucken des Lüneblicks. Im Archiv des Verlags hatte sie zwar tatsächlich einige Presseberichte über Morde in Lüneburg gefunden, doch für den ganz konkreten Vergleich dieser Geschehnisse mit denen der letzten Tage brauchte sie noch Zeit. Bis ins Detail würde sie die Fälle nur anhand der alten Polizeiakten abgleichen können. Und nun war auch noch ein weiterer Fall hinzugekommen. Verdammt aber auch! Noch einmal ließ Katharina die eben stattgefundene Besprechung Revue passieren, danach wollte sie sich an die Arbeit machen: Als ihr Chef um kurz nach acht verkündet hatte, dass es in der Nacht einen weiteren Mord gegeben hatte, hatte Katharina sehr genau nach den Umständen gefragt. Was sie spontan hatte sagen können, schon bevor Ben von dem erneut aufgetauchten Zettelchen mit Gedichtzeilen berichtet hatte, war, dass auch diese Tat in das Täterprofil passte, das sie erstellt hatte. Der Mörder schien immer mehr um Aufmerksamkeit zu buhlen. Mit jeder Tat steigerte er die Umstände so, dass sie für immer mehr Aufsehen sorgten. Mit der Entführung eines kleinen Mädchens hatte er sich eine Garantie dafür verschafft, dass die ganze Stadt von ihm Notiz nahm. Und ein Mord im besten und teuersten Hotel von Lüneburg würde nun spätestens auch die Verantwortlichen der Stadt auf den Plan rufen. Wie aufs Stichwort war dann der Chef der Kripo, Stephan Mausner, in die Besprechung geplatzt, begleitet von einem anderen Mann im grauen Anzug, den Katharina bis dahin nicht gekannt hatte. Ben war – sichtlich nicht erfreut, aber höflich – sofort auf die beiden zugegangen und hatte den Begleiter seines Vorgesetzten mit »Guten Morgen, Dr. Friedberg« begrüßt.
»Ich kann an diesem Morgen bisher nichts Gutes finden, Kommissar Rehder«, hatte er prompt und sehr steif zur Antwort bekommen, »aber vielleicht können Sie mich ja mit neuen Erkenntnissen vom Gegenteil überzeugen?«
»Leider nein«, hatte Ben erwidert. »Wir können mit Sicherheit davon ausgehen, dass auch der Mord in der vergangenen Nacht unserem Serienmörder zuzuschreiben ist, aber wir haben noch immer keine konkrete Spur. Er ist intelligent und scheint uns immer einen Schritt voraus zu sein.«
»Nun, dann sollten Sie zeigen, dass Sie noch intelligenter sind. Und zwar schnell.«
Katharina hatte die Unterhaltung beobachtet, und der Blick des Anzug-Typs wanderte nun ebenfalls durch den Raum und blieb kurz aber spürbar an ihr hängen. »Rehder, Sie haben hier eine Profilerin sitzen, das sollte Ihrem Team doch nun gerade bei einem solchen Fall auf die Sprünge helfen. Ich erwarte Ergebnisse, und zwar schnell. Ich habe heute früh schon den Bürgermeister am Telefon gehabt, und Sie können sich vorstellen, dass das keine amüsante Plauderei war. Auch die Presse, und damit die Öffentlichkeit, fordert langsam Ergebnisse.« Dann hatte er kurz in die Runde genickt und war wieder aus dem Büro verschwunden. Stephan Mausner hatte die gleiche Aufforderung nochmals wiederholt – in Katharinas Augen eher überflüssig – und war hinterher geeilt.
Als beide außer Reichweite waren, hatte Tobi grinsend
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