Blutheide
soweit ich es zulassen konnte oder besser gesagt musste. Und er war immer da für mich, der Einzige, mit dem ich über alles reden konnte. Und für Leonie ist er ein prima Onkel.«
»Ja, das kann ich mir lebhaft vorstellen«, erwiderte Bene, und der sarkastische Unterton war nicht zu überhören. »Der liebe Onkel Ben.«
»Ist das alles, was dich interessiert?«, fragte Juliane barsch. »Dass dein Bruder dir etwas verschwiegen hat? Da kann es mit deiner Veränderung aber nicht weit her sein, Benedict Rehder.«
Sie griff nach ihrer Tasche, die unter dem Tisch stand. »Ich werde jetzt besser gehen, es ist alles gesagt.«
»Julie, nein, …« Bene fühlte sich am Ende seiner Kräfte. Er wollte nicht, dass sie ging. Er wollte … ja, was wollte er? Nach dem Kind fragen, von dem er bis vor wenigen Minuten nichts gewusst hatte? Das schien ihm fast heuchlerisch. »Hast … hast du ein Foto von ihr?« Juliane, die bereits mit der Tasche in der Hand vom Tisch aufstand, sah ihn erstaunt und misstrauisch an. »Meinst du das ernst?«
»Ja natürlich! Ich möchte wissen, wie sie aussieht!«
»Sie sieht dir nicht wirklich ähnlich, falls es das ist, was du wissen willst. Tut mir leid für dein Ego«, antwortete sie schnippisch. »Das war mir nur recht so. Niemand ist jemals misstrauisch geworden, wenn ich erzählt habe, dass ich von einem One-Night-Stand geschwängert wurde, weil ich mich nach deinem Abgang im Lüneburger Nachtleben vergnügt habe.«
Trotz ihrer Wut, die sich im Lauf des Gesprächs gesteigert hatte, kramte Juliane in ihrer Tasche. Aus ihrem Timer zog sie ein kleines Foto heraus und reichte es Bene.
»Sie sieht aus wie du.« Bene lächelte ein wenig bei seinen Worten, während er das Foto von Leonie betrachtete.
»Hör zu, Bene«, sagte Julie, »behalt das Foto meinetwegen. Aber mehr nicht. Du wirst sie nicht sehen, jedenfalls nicht im Moment. Das ist mir zu gefährlich.«
Bene sah sie irritiert an. »Warum zu gefährlich? Meinst du, weil du befürchtest, dass ich plötzlich wieder verschwinde? Das werde ich nicht, Julie, und natürlich werde ich für euch aufkommen.«
Ein winziger Hauch längst vergessener Gefühle umfing Juliane. Das war genau der Bene, den sie damals unter der coolen und immer lässigen Außenfassade erkannt hatte. Und den sie geliebt hatte, mehr als ihr recht gewesen war. Doch das war längst vorbei, und sie hatte nicht vor, ihn wieder in ihr Leben zu lassen, das sie sich mit Leonie mühsam erkämpft hatte. »Wie gesagt, ich will kein Geld von dir. Und im Moment kannst du sie auch nicht treffen. Lass dir das am besten von deinem Bruder erklären. Ich muss jetzt los!«
Bene erhob sich ebenfalls vom Stuhl. »Darf ich dich anrufen?«
Juliane sah ihn forschend an. Dann griff sie in ihre Tasche, holte einen Stift hervor, nahm das Bild von Leonie, das Bene noch immer in den Händen hielt, und schrieb eine Nummer auf die Rückseite. »Aber gib uns beiden ein paar Tage Zeit, okay?«
Dann drehte sie sich um und verließ das Lokal, ohne sich noch einmal umzusehen. Bene schaute ihr mit gemischten Gefühlen hinterher, und als sie gerade um die nächste Ecke bog, überfiel ihn ein Gedanke, den er ihr auch sogleich hinterher rief: »Julie, warte, hab ich deswegen den Schulranzen geschickt bekommen? Warst du das?« Doch Julie hörte ihn nicht mehr, sie war schon zu weit von ihm entfernt.
10.41 Uhr
Ben saß auf einem der kleinen Ledersessel in der Hotellobby und wartete, was nicht unbedingt zu seinen Stärken gehörte. Er hatte schlecht geplant, oder auch überhaupt nicht, er war sich da nicht so sicher. Seine sonst so strukturierte Art kam ihm zurzeit mehr und mehr abhanden, sowohl privat als auch beruflich, und das störte ihn kolossal. Wie oft schon hatte er seine Mitarbeiter ermahnt, bei ihrem ohnehin so unberechenbaren Job zumindest die Abläufe gut zu planen, die planbar waren. Und nun saß er selbst nutzlos im Hotel herum, weil er viel zu früh hergekommen war. Der Schichtwechsel im Hotel begann erst um elf Uhr. Nun gut, die anderen Angestellten konnte das eigens bereitgestellte Befragungsteam übernehmen. Genauso, wie sie es jetzt schon mit den Gästen taten, doch mit Jana Helm wollte Ben persönlich sprechen. Er wollte sich noch einmal endgültig davon überzeugen, dass sie und Tobi wirklich eine Liebesnacht miteinander verbracht hatten. Jana Helm war aber nicht im Haus, denn auch ihr Dienst begann erst wieder um elf. Wie man ihm gesagt hatte, war sie heute Morgen gleich in die Stadt
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