Blutheide
in den Raum geschmissen: »Mausi und Friedl im Doppelpack, das sind immer die ganz üblen Tage!«
»Friedl?« Katharina hatte ihn fragend angesehen. Dass ihr oberster Chef, Stephan Mausner, seinen Spitznamen auf dem Präsidium weghatte und diesen durch seine etwas merkwürdige und wenig bestimmte Art auch noch unterstützte, hatte sie ja längst mitbekommen, doch den anderen Namen konnte sie nicht einordnen. Es war Ben, der erklärt hatte: »Das war Dr. Bent-Ove Friedberg, der zuständige Staatsanwalt. Und wenn wir mal ehrlich sind, hat er ja recht. Wir müssen vorankommen, sonst ist in der Stadt bald der Teufel los. Lüneburg lebt nicht schlecht von den vielen Wochenend-Touristen. Wenn sich keiner mehr her traut oder das beste Hotel am Platz seinen guten Ruf verliert, ist damit niemandem geholfen.«
Sie hatten nur noch kurz die letzten Fakten zusammengetragen, dann war Ben zum Hotel gefahren. Er hatte gesagt, er wollte dort das von Mausner bereits vor der Besprechung bewilligte Team einweisen und auch selbst noch persönlich ein paar Befragungen durchführen, mit Gästen und auch mit Angestellten, die er in der Nacht nicht mehr hatte verhören können. Katharina fragte sich, ob Bene auch dazugehören würde. Sicher nicht einfach für ihren Chef, vermutlich hatte er sich auch deshalb allein auf den Weg gemacht. Tobi wollte der KTU und der Rechtsmedizin einen Besuch abstatten, um dort nach weiteren Erkenntnissen zu fragen. Und sie selbst hatte angeboten, im Büro zu bleiben, das Profil zu ergänzen und erreichbar zu sein, falls es – vor allem im Fall der kleinen Laura – eine neue Spur geben sollte.
Katharina rieb sich die Schläfen und nahm einen weiteren Schluck Kaffee. Dann schob sie die Unterlagen zum Profiling beiseite, holte die Ausdrucke aus dem Zeitungsarchiv aus dem Umschlag und startete ihren Computer. Das Profil würde sie gleich weiter bearbeiten. Jetzt würde sie die Zeit im Büro nutzen, um das polizeiinterne Netzwerk nach Parallelen zu durchforsten. Die Namen der Opfer und Täter in den alten Zeitungsartikeln waren zwar zum größten Teil geändert, doch sie hoffte, anhand der zeitlichen Daten im Computer die alten Akten einsehen zu können. Sie ordnete die Ausdrucke chronologisch und tippte das älteste Datum in die Suchmaske. Die technische Ausstattung hier war im Vergleich zu der, die sie aus München kannte, nicht gerade hochmodern, und alles dauerte etwas länger. Doch dann verschwand die ›Bitte warten‹-Anzeige vom Bildschirm, und Katharina bekam die Ergebnis-Anzeige: Volltreffer!
10.17 Uhr
Bene sah Julie über den kleinen Tisch hinweg direkt in die Augen. Er war losgerannt, als er sie entdeckt hatte, und hatte sie ein paar Meter weiter erreicht, abgehetzt – genauso, wie er ihr eigentlich nicht hatte gegenübertreten wollen. Doch er hatte geahnt, dass sie ihm keine zweite Chance auf ein Wiedersehen geben würde, wenn er diese nicht genutzt hätte. Als er ihren Arm von hinten ergriffen und »Julie, sorry, da bin ich« gekeucht hatte, war ihr Blick erschrocken gewesen. Das hatte sich dann schnell geändert. Auf dem kurzen Weg von der Kuhstraße, in der er sie eingeholt hatte, bis zum Lebrello, wo sie sich einen einsamen Tisch auf der bereits sonnigen Terrasse gesucht hatten, war kein Wort zwischen ihnen gefallen. Bene wusste nicht, wie er das Gespräch beginnen sollte. Diese Unsicherheit kam bei ihm selten vor, doch bei Julie hatte er das Gefühl, ohnehin nichts sagen zu können, was richtig wäre. So sah er sie an und hoffte, dass sie als Erste die Worte fand.
»Da bist du also wieder«, brach Juliane auch nach wenigen Sekunden das Schweigen, nachdem sie seinem Blick zuerst ausgewichen war. »Ist lange her.«
Bene fühlte sich mehr als unwohl in seiner Haut. Sich die Jahre über oft eingestehen zu müssen, dass er die erste und einzige Frau, die er in seinem bisherigen Leben wirklich und ehrlich geliebt hatte, zutiefst enttäuscht hatte, war eine Sache gewesen. Ihr jetzt direkt in die Augen zu sehen und ihr eine Erklärung geben zu müssen, eine ganz andere. Es gab weder eine plausible Erklärung noch eine Entschuldigung für sein Verhalten vor acht Jahren. Außer vielleicht die, dass er ein Riesenarschloch war. Aber das hatte sie vermutlich längst selbst erkannt. Froh darüber, dass der Kellner mit den zwei Bechern Milchkaffee an den Tisch kam, rührte er verlegen so lang in der Tasse herum, bis der ganze Milchschaum restlos vernichtet war.
»Hast du mir gar nichts zu sagen?«,
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