Blutheide
gegangen. Ben hatte die Zeit zwar genutzt, um das Befragungsteam einzuweisen, aber auch damit war er längst fertig.
Früher wäre ihm so etwas nicht passiert, selbst vor ein paar Tagen noch nicht, ärgerte sich Ben und dachte sofort an seinen Zwillingsbruder. Vermutlich saß Bene gerade irgendwo in Lüneburg und erfuhr, dass er eine Tochter hatte. Ben hoffte inständig, dass Bene zu dem Treffen mit Julie erschienen war, denn er wollte diese Heimlichkeiten keinen Tag länger mit sich herumtragen. Außerdem musste er Bene dringend zu der Entführung befragen. Und er musste ihn, genauso wie Julie, darüber informieren, dass der Täter es höchstwahrscheinlich auf Leonie abgesehen und sie lediglich mit ihrer Freundin verwechselt hatte. Zur Sicherheit hatte Rehder bereits heute Morgen eine Streife zu Julies Haus geschickt, die das Kind möglichst unauffällig bewachen sollte. Jetzt zog der Kommissar sein Handy aus der Tasche und prüfte, ob er eventuell einen Anruf verpasst hatte. Nichts – keine neuen Nachrichten. Wäre Bene nicht erschienen, hätte Julie sich sicher längst gemeldet, um ihrem Ärger Luft zu machen. Ben versuchte, nicht länger über etwas nachzudenken, woran er im Moment ohnehin nichts ändern konnte. Auch das gehörte zu den Dingen, die er grundsätzlich für Zeitverschwendung hielt. Plötzlich kam ihm Katharina in den Sinn. Ben wusste nach wie vor nicht, ob er glücklich mit der Wahl seines Chefs war. Ohne Frage – sie machte ihre Sache bisher gut. Kein Wunder, ihr Ehrgeiz war augenscheinlich, und das war es vielleicht auch, was Ben grübeln ließ. Menschen mit übertriebenem Ehrgeiz konnten unangenehm werden und als Mitarbeiter vor allem eigenwillig. Oder konnte es doch Unsicherheit sein? Vorhin bei der morgendlichen Besprechung war sie ihm irgendwie merkwürdig erschienen, aber vielleicht interpretierte er auch zu viel in sie hinein. Eine so toughe Frau wie Katharina … Vermutlich war es das, was ihn insgeheim störte: Er wusste nicht, wer sie wirklich war, was echt und was Maskierung war. Ihre Verbindung zu Benedict machte das Ganze zudem nicht gerade leichter. Egal, schalt Ben sich selbst, das tut nichts zur Sache. Der Job war wichtig, und den machte Katharina gut und vor allem engagiert. Und auch wenn die Ergebnisse ihres Profilings sie bisher noch auf keine konkrete Spur geführt hatten, so lag das nicht an ihrer Arbeit. Sie hatten leider viel zu wenige Anhaltspunkte, um überhaupt einen möglichen Verdächtigen ins Visier zu nehmen. Die einzelnen Morde waren einfach zu unterschiedlich. Und dann dazu noch die Entführung der kleinen Laura! Der Kommissar hoffte inständig, dass er richtig damit lag, wenn er immer noch von einer Entführung sprach und nicht von einem weiteren Mordfall. Er stutzte mitten in seinen Gedanken. Verdammt! Er hatte einen Gedanken der letzten Tage nicht weiterverfolgt, der jetzt gerade wieder in ihm aufkam: Die Parallelen, die ihm …
»Herr Kommissar, muss denn das wirklich sein?«
Die hektische, unangenehm hohe Fistelstimme von Jan Gronau riss Benjamin Rehder aus seinen Gedanken. Der Hoteldirektor kam auf ihn zu und strahlte alles andere aus als die Souveränität, die man vom Chef eines solchen Hauses normalerweise erwartete. Was für ein merkwürdiger, unangenehmer Mensch, dachte Ben, während er sich aus dem Sessel erhob und Gronau die Hand entgegenstreckte.»Herr Gronau, guten Tag! Was genau meinen Sie?« Ben sah sein Gegenüber herausfordernd an.
»Was ich meine? Na, Sie sind gut!« Gronaus Gesicht zeigte schiere Empörung. »Müssen Sie unbedingt die Mitarbeiter hier vor Ort befragen? Und dann auch noch die Gäste! Als wenn das nicht alles schon schlimm genug wäre. Die Leiche im Kanal hat uns auf der Sonnenterrasse ja vielleicht noch ein paar sensationslüsterne Kaffeegäste beschert, aber dieser unschöne Vorfall hier direkt im Haus … die ersten Absagen von Übernachtungsgästen sind bereits herein geflattert. Schrecklich, einfach nur schrecklich!«
Ben musste sich beinahe das Lachen verkneifen, denn der Hoteldirektor wirkte in seiner hektischen Empörung extrem lächerlich. »Herr Gronau«, setzte Ben leicht genervt an, »natürlich ist es für ein Haus wie dieses nicht Image fördernd, wenn man innerhalb weniger Tage zwei Leichen vor Ort findet, das ist mir schon klar. Aber umso mehr sollten auch Sie daran interessiert sein, dass wir den Täter so schnell wie möglich finden. Und um jeder Spur nachzugehen, muss ich prüfen, ob jemand hier etwas
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