Blutheide
erneut auf. Anschließend sah er sich auf Katharinas Schreibtisch um, in der Hoffnung, vielleicht dort irgendeinen Hinweis darauf zu finden, wohin sie unterwegs sein konnte. Währenddessen hatte Tobi sich einen Bleistift geschnappt und zog mit der Seite breite Striche über ein kleines Blatt Papier.
»Tobi, ich glaub, zum Malen gibt’s bessere Gelegenheiten«, fuhr Ben ihn an. »Wir müssen herausfinden, wo Katharina hinwollte!«
Tobi drehte sich triumphierend um: »Soeben erledigt, Chef!«
Fragend sah Ben auf den Notizzettel in Tobis winkender Hand, konnte jedoch nur graue Bleistiftstriemen entdecken.
»Katharina hat sich hier auf dem Block etwas notiert und dabei ziemlich fest aufgedrückt. Ich hab das nächste Blatt schraffiert, und wenn du den Zettel gegen das Licht hältst, kannst du ihre Schrift erkennen – schwach, aber ausreichend.«
»Und was steht da?« Ben unterdrückte seine Verärgerung. Er hätte Tobi nicht so anfahren sollen, stattdessen hätte ihm die Idee selbst kommen müssen.
Tobi hielt das kleine Blatt ins Licht, das durchs Fenster fiel, und las vor: »Kürzel: CSA – wer? Lüneblick!«
12.05 Uhr
Bene lief durch die Straßen, ziellos, verwirrt. Nachdem Julie das Lebrello verlassen hatte und auch nicht mehr gehört hatte, was er ihr hinterher gerufen hatte, hatte er sich einen doppelten Whisky bestellt und in einem Zug hinuntergeschüttet. Er mochte keinen Whisky, schon gar nicht am Mittag, aber er hatte – so wie auch bereits in der Nacht – etwas gebraucht, was ihm in der Kehle brannte, um zu merken, dass er nicht geträumt hatte. Eine Tochter – er! Der Gedanke überforderte ihn komplett. Er zweifelte nicht an seiner Vaterschaft, das war nicht Julies Art. Außerdem hätte sie nichts davon gehabt. Wäre er nicht zurückgekommen, hätte er möglicherweise nie von Leonie erfahren. Diese Vorstellung schreckte ihn mindestens genauso wie die Tatsache, dass er plötzlich und unerwartet Vater geworden war. Als er ein lautes Hupen hörte, blieb Bene ruckartig stehen. Fast wäre er direkt in ein fahrendes Auto gelaufen, denn die Fußgängerzone hatte er, ohne es zu merken, bereits hinter sich gelassen. Er änderte die Richtung und schlug den direkten Weg zu seiner Wohnung ein. Sein nächster Dienst begann erst am späten Nachmittag, er hatte also noch ein paar Stunden Zeit, wieder einen klaren Kopf zu bekommen, und er wusste auch schon, wie. Mit schnellen Schritten ging er – nun ganz gezielt – die Straßen entlang und kam wenige Minuten später an seiner Wohnung an. Nachdem er seine leichte Jacke, die er bei dem Wetter sowieso nicht gebraucht hatte, in die Ecke geschmissen hatte, blieb er mitten im Wohnzimmer stehen und sah auf den Stapel Umzugskartons, die noch feinsäuberlich unausgepackt in einer Ecke des Raumes standen. Auch das erinnerte ihn wieder an Katharina, an ihre Wohnung. Er schüttelte den Kopf, um die Gedanken zu verjagen. Dann machte er sich an die Kartons. Zwei öffnete er vergeblich, bevor er fand, wonach er gesucht hatte. Er zog den großen schwarzen Kasten heraus, öffnete ihn und griff nach dem glänzenden Saxofon, das sich darin befand. Das hat mir bisher noch immer geholfen, wenn ich nicht weiterwusste, dachte er, während er sich den Gurt umlegte, zum Fenster trat und sich an die Fensterbank lehnte. Die ersten Töne kamen noch etwas quietschend aus dem gepflegten Instrument, doch bereits ein paar Takte später fand Bene zu seinem alten Rhythmus zurück. Kenny G. – er liebte diese Musik. Und ob seine Nachbarn das genauso sahen, war ihm in diesem Moment mehr als egal.
12.07 Uhr
Katharina kannte sich noch nicht gut genug in Lüneburg aus, um ausmachen zu können, wohin der Journalist sie beide fuhr. Sie hatte nur das Stadtteilschild ›Ochtmissen‹ im Vorbeifahren gesehen. Bisher hatte sie auch noch nicht gefragt, da Saalbach unablässig redete, seit sie aus der Cafeteria aufgebrochen waren. Ohne Punkt und Komma schilderte er ihr die damalige Entführung des kleinen Mädchens, als wäre sie gestern erst passiert, und als wäre er dabei gewesen. Als Katharina ihm deswegen einen fragenden Blick von der Seite zuwarf, erklärte er ihr, dass er alles so genau wüsste, weil er den Entführer des Mädchens vor einiger Zeit mit Hilfe von Beziehungen in der geschlossenen Psychiatrie aufgesucht und eingehend befragt hatte. Hier endete Saalbachs durchaus interessanter Redeschwall, und Katharina ergriff die Gelegenheit zu fragen, wo sie denn nun eigentlich hinfuhren.
»Zu
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