Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
ist vor Unglück nicht gefeit«, fuhr Johannes fort. »Aber Vater Maurus war von Anfang an zuversichtlich. Er ist ein Politicus wie Leopold einer war. Aber weltlich wie ein Fürsterzbischof.«
Erschöpft fiel Johannes in die Kissen zurück und schloss die Augen. Doch einen Augenblick später redete er wieder weiter.
»Wir Alten haben Narrenfreiheit. Du wirst dich sicher wundern, heute Abend. In diesen Mauern ist es sehr weltlich geworden. Gut, dass Gregor es nie erlebt hat.«
»Wir hatten in der Tat schon den Eindruck«, sagte Bernward und schaute sich um. Doch Bruder Hans sprach einige Betten entfernt mit einem Konversenbruder.
»Ja, es sind die neuen Zeiten«, erwiderte Johannes und machte eine gedankenverlorene Pause. »Wer Geld hat, will unterhalten werden. Beten tun die Alten und Aufrechten, arbeiten tun Konversen und Lohnarbeiter. Manch Mönch kauft sich von allem frei. Neque orare neque laborare. Tempora mutaverunt . Weder beten noch arbeiten. Die Zeiten haben sich geändert.«
»Er ist wieder etwas ungerecht, unser Bruder Johannes«, ertönte Hans’ Stimme hinter Barbara. »Selbst Abt Leopold, Gott hab’ ihn selig, wandte sich gegen das zu viele Beten. Und als ob wir nicht arbeiteten! Wissenschaften und Künste sind mannigfaltig geworden. Sie zu beherrschen erfordert geistige Kraft. Soll der Bruder Historicus unsere Geschichte mit der Brechstange in einen Folianten stanzen? Sollen wir das Lob des Herrn und der Heiligen Jungfrau auf ewig in den gleichen schlichten Modi singen? Sollen wir uns also allem Fortschritt verweigern?«
Bruder Hans sagte dies so selbstverständlich, so herablassend, als sei jede andere Auffassung dem Reich kindischer Unwissenheit zuzuschreiben. Milde streifte sein Blick Johannes, dessen Mund zu einem schmalen Strich zusammengezogen war, dann machte er eine ausladende Geste, die besagen sollte, dem armen Kranken seine Ruhe zu lassen. Johannes schien dies zu spüren, denn er schlug die Augen auf und suchte Barbaras Blick.
»Barbara, mein Kind. Bruder Martin wird dir alles zeigen«, sagte er. »Aber nun lass dich noch einmal umarmen.«
So fest sie konnte, drückte Barbara den alten Mönch, der danach Bernward zunickte, dessen Hand ergriff und sie auf Barbaras legte. »Bernward und ich haben den gleichen Wunsch, du meine Tochter«, flüsterte er. »Oder willst du mich enttäuschen?«
Auffordernd blickt er Barbara an, und obwohl Bruder Hans sich räusperte, gab sie Bernward einen Kuss.
15
Wenn es auch ungewöhnlich für ein Kloster war, der Abend wurde zu einem festlichen Erlebnis. Nach dem mit allen Mönchen eingenommenen Vespermahl – es gab einen besonderen Gästetisch, an dem neben Barbara und Bernward noch ein österreichischer Legationsrat, ein Bankier aus Frankfurt und ein oberschwäbischer Baron mit Gemahlin Platz genommen hatten -, wohnten sie dem Magnifikatgottesdienst bei. Anschließend gab es einen einstündigen Empfang bei Maurus Berier. Er blickte Barbara gespannt an, als ein Konversenbruder ein Tablett mit Gläsern brachte. Barbara konnte es kaum fassen. Es war ihr Mousseux, den Vater Maurus seinen Gästen anbot, komponiert aus 70er und 71er Stillweinen. Und er schmeckte gut. Bankier und Baron nickten anerkennend. Es seien die letzten drei Flaschen, vermerkte Vater Maurus. Mit Bedauern setzte er hinzu, dass der einst solide Vorrat des van Bergenschen Weißburgunders ebenfalls bedrohlich zur Neige ginge. Daher werde er die heutige glückliche Begegnung in dieser harmonischen Runde ganz frei dazu nutzen, der Madame van Bergen ein paar Eimerchen abzubetteln.
Auf diese Weise verhalf er seinem Mantelkind zu einem glänzenden Geschäft, denn natürlich wollten die anderen Gäste nicht so unhöflich sein, den Abt zu brüskieren, indem sie ihm schlechten Geschmack unterstellten. Barbara wurde ohne die geringste Anstrengung die Hälfte ihres Ruländers und Weißburgunders los. Ein gutes Omen auf die Zukunft.
Der Wein blieb das Thema, man konversierte über seine Tugenden und Laster, und Barbara wurde gebeten, ein paar Legenden zum Besten zu geben. Dies fiel ihr nicht schwer, denn der dicke Rudolf hatte ihr während der Lehrzeit in Ihringen so ziemlich jeden Arbeitsgang in den Reben mit einer unterhaltsamen Schnurre oder Sage veranschaulicht. Zwar hatte sie einige vergessen, aber an zwei Legenden erinnerte sie sich sofort. Den Anfang machte eine Äsopsche Fabel, die damals von Rudolf in Beziehung zum mühevollen Hacken und Falgen gesetzt worden war:
Einst hatte ein
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