Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
fragte Bernward belustigt. »Oder wollte sich der Baum ein klein wenig revanchieren, nach der Art, dass er sich im Fallen vorgenommen hatte, des Feldwebels Schädel daran zu erinnern, dass Holz nicht gleich Holz ist? Gab es wenigstens Zuschauer?«
»Den alten Schnitzer«, sagte Barbara, ohne auf den unernsten Ton einzugehen. »Mehr weiß ich nicht. Aber ich wollt’ ja nur erzählen. Dieser widerliche Knochen hat vor dem Grab tatsächlich gesagt, Maria hätte diesem Schmerz ja entgehen können, wenn sie ihn nach dem Tod seines Bruders Valentin gleich geheiratet hätte. Nicht diesen Fremden, diesen reingeschmeckten Elsässer.«
»Dies Liedchen kenn ich. Und alle Strophen gehen nach dem gleichen Reim. Kein fremdes Blut, weil’s den heim`schen Männern ein Weiblein weniger beschert und damit Haus und Hof nicht mehr der Dorfsippschaft gehört. «
»Jaja, aber denk dir«, sagte Barbara: »Sagt der Alte doch noch, dass diese Ehe nichts getaugt hätte, dafür wäre Marias Kinderlosigkeit ja leider ein zutreffender Beweis gewesen. Dann lässt er seine weinende Frau einfach stehen. Weil er gewusst hat, dass ich sie tröste.«
»Welch finstrer Bösewicht«, sagte Bernward. »Mir scheint, dieser Jacob hat nicht nur zugeschaut, sondern mit dem Baum ein wenig gekunkelt. Hat sicher zu ihm gesagt, ich hau’ dir die Axt ins Mark, dafür fällst du etwas schief und haust dem Elsässer eine Watsche. Der Gewinn wird geteilt. Du die Rache, ich den Hausherrn.«
»Du Justitiarius, du«, sagte Barbara. »Süchtig nach Prozessen! Sammelst du etwa schon die facta criminationis , die Sachverhalte der Anklage? Was wirst du erst denken, wenn ich dir verrate, Maria hätte gesagt, im Profil betrachtet hätte ich große Ähnlichkeit mit ihrem Ludwig?«
Barbara schaukelte vergnügt in Bernwards Armen. Und beide taten sie so, als hätten sie vergessen, wo sie sich befanden.
»Das Naheliegendste, mein Schatz, ist doch«, sagte Bernward, »du bist das Kind von Ludwig und Maria. Ausgesetzt, weil dieser Jacob nach dem Tod des Feldwebels kein fremdes Blut dulden wollte.«
»Aber es passt nicht«, entgegnete Barbara mit einem Seufzer. »Erstens hätte Maria dies nie getan, zweitens ist Bernhard ihr Sohn. Und der ist fast auf den Tag so alt wie ich.«
Bernward schwieg und schaukelte Barbara weiter, die sich nach einer kleinen Weile plötzlich umdrehte und ihn küsste.
»Von Johannes den Segen, vor Gregor den Kuss«, sagte sie. »Dein Wunsch ist in Erfüllung gegangen.« Barbara trat zwei Schritte vor und streichelte das Kreuz. »Sei mit mir, Gregor«, flüsterte sie. »Ich vergess’ dich nicht!«
Von Anfang an war nur eine Nacht in Tennenbach vorgesehen, denn Barbara hatte für die bevorstehende Lese noch einiges vorzubereiten. Unter anderem mussten vom Herbstgeschirr Zuber und Bütten mit Wasser gefüllt werden, damit es die Ritzen verschwellte. Darüber hinaus galt es, Karren und Zugochse für die Fuhrbütten zu besorgen, einschließlich eines Herbstmanns. Riecke wollte zwar wieder unbedingt bei der Lese helfen, aber dieses Jahr würde es ohne zweiten Bückiträger nicht mehr zu schaffen sein. Ihre treue Haushälterin war zu alt geworden.
In Begleitung eines Konversenbruders, der sie bat, den sich gerade im Genesungsschlaf Befindenden nicht zu wecken, durfte Barbara ein letztes Mal an Johannes’ Bett. Ruhig und fest ging der Atem des geliebten Mönchs, und die wenigen Minuten, die Barbara bei ihm war, weckten noch einmal einige Kindheitserinnerungen. Da war die Tüte mit Lakritzstangen, die Johannes ihr auf dem Breisacher Markt so oft gekauft hatte, der Karton mit den gemalten Liebespaspartouts des Briefstellers, in deren Muster man nur noch seine Beteuerungen hineinschreiben brauchte, aber auch der entsetzliche Tag, an dem sie beim Zahnbrecher saß, dessen zwei Knechte ihr den Kopf mit Lederriemen über Stirn und Kinn an die extra lange Lehne des Stuhls geschnallt hatten. Johannes hatte sie eine Stunde zuvor mit einem vollen Glas Branntwein in einen Vollrausch versetzt, und der Kater in der Nacht war entsetzlicher als der Schmerz beim Zahnziehen. Wie waren sie damals auf dem Rückweg nicht angestarrt worden! Sie mit ihrem glänzenden, bis zu den Knöcheln reichenden schwarzen Leinenkleid und er in seinem weißleuchtenden Mönchshabit, der ein weinendes, volltrunkenes Mädchen um die Hüfte gefasst hatte und durch die Gassen schleppte! Wo sie vorbeigekommen waren, war für einen Moment das Marktgeschäft zum Erliegen gekommen, und –
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