Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
Winzer zahlreiche, nicht unbedingt tüchtige Söhne, die er, als sein Leben zu Ende ging, zu sich rief, um sie mit einem listigen Rat zur Arbeit anzuhalten. Auf seinem Sterbebett sagte er: ‘Meine lieben Söhne, bevor ich von dieser Welt scheide, verrate ich euch ein Geheimnis. Ihr sollt wissen, dass all mein Gut in unserem Weingarten ist.’
Die Söhne rätselten darüber, und nach dem Tod ihres Vaters glaubten sie, am ehesten deuteten die Worte des Vaters auf einen versteckten Schatz hin, den er im Weingarten vergraben hatte. Also nahmen sie Schaufeln und Hacken und gruben von Grund auf ihr Rebstück um. Aber soviel sie auch suchten, sie fanden nichts. Doch indem sie alles um und um gewühlt hatten, die Rebstöcke dankten es ihnen und gaben mehr und bessere Trauben als je zu vor. Da erkannten die Brüder ihre Torheit und enträtselten die Worte des Vaters. Alle wurden sie reich und lebten in Frieden. Der Schatz, den sie gefunden hatten, bestand in nichts anderem, als für stete Durchlüftung des Bodens zu sorgen und ihn von schmarotzenden Wildkräutern zu befreien.
Mit der zweiten Legende hatte der dicke Rudolf seinem Schützling die Wichtigkeit des Rebschnitts vor Augen geführt. Die antike Seestadt Nauplia, wegen ihres guten Weins hochberühmt, war der Schauplatz der Erzählung. In Nauplia stand am Marktplatz nämlich das Steinrelief eines Esels im Weinberg, und jedem Besucher wurde gerne erzählt, wie einst aufgrund einer Eselei der Rebschnitt erfunden wurde.
An einem ermattend heißen Frühjahrstag quälte ein Winzer seinen Esel mit einer Karre Mist den steinigen Weg zu den Rebterrassen herauf, um dort seine Weinstöcke zu düngen. Sorgfältig verstreute er den Mist, der Esel konnte sich nun ausruhen. Doch das Tier, das wie die meisten Esel in Nauplia an Disteln gewöhnt war, fand zwischen den gepflegten Reben keine einzige und vergnügte sich stattdessen mit dem frischen, herben Grün der neugewachsenen Schosse. Die Weinstöcke auf einer ganzen Rebterrasse wurden beknabbert. Für dieses Vergehen musste es sich der Esel gefallen lassen, dass ihn sein Herr unbarmherzig prügelte, der ja glaubte, um die Früchte seiner Arbeit gebracht worden zu sein.
Wie staunte aber der Winzer, als es an die Lese ging. Eine wahre Traubenpracht herbstete er, süße und vollmundige Trauben, die in ihrem Geschmack denen der ungerupften Weinstöcke weit überlegen waren. Und auch im nächsten Frühjahr. Dort, wo der genäschige Esel geruhsam den Weinstock bis auf ganz wenige Schosse geplündert hatte, zeigte er einen auffallend starken Ansatz fruchtbringender Triebe, die den Winzer bald mit einen reichen Behang von Trauben erfreuten. Der Winzer nahm sich das Tun des Esels zum Vorbild, hieb auch seinen anderen Weinstöcken Schosse und Laubtriebe ab und herbstete den besten Wein weit und breit. Damit war der Rebschnitt entdeckt. Einem Esel gebührte also das Verdienst, die Traube zur edelsten Frucht für den Menschen gemacht zu haben.
Über weiteren Plaudereien ging die eine Stunde bei Vater Maurus schnell zu Ende, neugierig erwartete man den Höhepunkt des Abends. Und tatsächlich, wie Johannes es angedeutet hatte, lauschte man ab neun einem Konzert, aber nicht in der Kirche, sondern im theaterähnlich ausgebauten Festsaal der Bibliothek.
Maurus Berier beeindruckte mit gelehrten Kommentaren zur angeblich jetzt in der ganzen Welt gefeierten Musik aus Mannheim, die sie gerade hörten. Reiner Instrumentalmusik, erklärte er, gehöre die Zukunft. Er gehöre nicht zu denen, die sich daran ergötzten, wenn das Sanctus oder Agnus Dei wie eine Opernarie heruntertiriliert werde, noch dazu von einem fetten Kastraten. In den Symphonien eines Stamitz und Cannabich oder der Österreicher Ditters und Haydn stecke mehr Größe und Erhabenheit als im Gesangsflitter italienischer Provenienz. Den Einwand der Frau Baronin, dass diese Klänge ohne Worte aber doch an einem vorbeirauschten und man nicht wisse, was denn die vielen Noten so alles bedeuten sollten, hielt der Abt entgegen: Wem das Herz gerührt werde, habe alles verstanden. Mit der Musik sei es wie mit der Religion. Klügelt der Kopf, kümmert der Glaube.
16
»Wär’ ich jetzt ein Poet, könnt’ ich es Euch genauso ausmalen, wie es Gregor immer gemacht hat, als er Euch hier hat wimmern hören, Barbara«, sagte Bruder Martin am nächsten Morgen, als sie im Chor der ehemaligen Krankenkapelle standen.
»Ihr wisst wahrscheinlich, dass dies sein Bethaus war. Jetzt lässt sich hier
Weitere Kostenlose Bücher