Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
zwei Jahre lang einkaufen können!«
Barbara steigerte sich willentlich in den Ärger hinein. Sie war enttäuscht, fühlte sich von ihren Mönchen verraten. Schon seit ein paar Tagen war sie gereizt. Die Qualität der Trauben war schlechter als erwartet, sie konnte die Augen nicht mehr länger verschließen. Ihre Großvaterreben waren ausgelaugt, die Verjüngung der meisten Rebstöcke war nicht länger hinauszuschieben. Doch dies bedeutete allerschwerste Arbeit. Eine zwei Ellen tiefe Grube musste gegraben werden, damit man den alten Stock umlegen konnte. Nach dem Vergruben, bei dem die zugedeckten Augen neue Wurzeln bildeten, dauerte es mindestens zwei Jahre, bis die neue Rebe wirklich wieder gute Trauben brachte. Wegen der schrecklichen, ihren Ruf schädigenden Ereignisse der letzten Zeit war ihr Elan für eine derart auszehrende Arbeit jedoch geschwunden. Barbara litt darunter, quälte sich mit Selbstvorwürfen und redete sich von Tag zu Tag tiefer in ihre Traurigkeit hinein. Gab es einen Anlass, wurde sie sofort laut und polemisch. Riecke hatte ihre liebe Not mit ihr. Barbara mangelte es an Appetit, und wenn sie aus den Reben kam, trank sie viel zu oft ein Glas zuviel.
Auf ihrem Hochzeitstag hatte sie sich mit Bernward verlobt, an Neujahr sollte die Hochzeit sein. Ungern gab sie ihren Namen auf. Barbara van Bergen, dies ließ sich gut verkaufen. Barbara Gutrechter dagegen klang so, dass man diesen Namen nicht unbedingt mit gut ausgebauten Weinen in Verbindung brachte, sondern eher gehobene Anständigkeit und artige Kinder assoziierte.
»Hab nur Vertrauen, Barbara«, sagte Riecke. »Ich weiß eine teerhaltige Paste mit Heilerde, Olivenöl und Stutenmilch. Die wird helfen. Alles, was man sich wünscht, geht nie in Erfüllung. Besser mit Ausschlag zu Hause als ohne Ausschlag im Zuchthaus oder am Galgen.«
»Was hast du da gesagt?«
Rieckes Worte ließen Barbara aufmerken und verdrängten von einem Augenblick auf den andern ihre missmutige Laune. Überrascht starrte sie für einen kurzen Moment ihre Haushälterin an. Nach einem erkennenden langsamen Nicken legte sich ein Schatten auf ihr Gesicht. Leise sagte sie: »Sie hat nicht gelogen.«
»Was ist?« Riecke schaute Barbara neugierig an. »Wer hat nicht gelogen?«
»Die Emmendinger Hexe, von der ich dir erzählt hab’«, sagte Barbara. »Der ich den Mostbecher abgekauft hatte. Mein Gefühl war richtig. Aus den Scherben im Wald werden wohl Würmer geworden sein.«
»Soll doch keine Hexen mehr geben«, sagte Riecke. »Aber ich versteh’ Euch nicht. Was hat der Ausschlag damit zu tun?«
»Viel, Riecke!«, rief Barbara und ging in ihrem Zimmer aufgeregt hin und her. »Denn es war doch mein Wunsch, dass die Heilsalbe aus dem Kloster hilft! Und die Kreuzer, die die Suppe fett machen, hab’ ich sie nicht deswegen der Eisenmeisterin gegeben? Der Mostbecher? Der alte Schnitzer hat draus getrunken! Bernward! Alles stimmt!«
»Weil der Mönchsseim nicht geholfen hat? Dies meint Ihr?«
»Ja doch! Verstehst du nicht? Wenn alles stimmt, dann auch das letzte, dass ich nämlich beim Kloster denjenigen begegne, denen ich es zu verdanken hab’, dort ausgesetzt worden zu sein.«
»Da kämen wohl nur die Gäste beim Empfang des Abts in Frage«, sagte Riecke. »Oder gar der Abt selbst? Aber beides macht doch keinen Sinn! So wie nicht alle Wünsche in Erfüllung gehen, tun ‘s auch die Prophezeiungen nicht.«
»Doch, Riecke, doch«, sagte Barbara bedeutungsvoll und schüttelte den Kopf. »Und dass es mir heute einfällt, auf Allerseelen ist kein Zufall.«
Riecke redete vergeblich auf Barbara ein, ihre Vermutung preiszugeben. Ihre Madame aber schüttelte eigensinnig den Kopf und vertröstete sie auf später. Schien sie anfangs erschrocken zu sein, war sie auf einmal beinah ausgelassen zu nennen. Während des Mittagessens tat sie so, als ob sie im Kopf alle Fragen gelöst hätte und in Kürze Gewissheit erhalten werde, und wenn sie Glück habe, noch auf dem Friedhof in Niederrotweil, deutete sie sibyllinisch an.
Gleich nach dem Essen machte sie sich mit Riecke auf den Weg. In Niederrotweil angelangt, ergriff Barbara dann aber doch hektische Unruhe. Unentwegt schaute sie um sich, und von Sekunde zu Sekunde lief sie getriebener. Riecke hatte Mühe, mit ihr Schritt zu halten. Auf dem Friedhof achtete die Madame auf jede ihr entgegenkommende ältere schwarzgewandete Frau. Vor Cees’ Grab wanderten ihre Blicke immer wieder auf den Friedhofsausgang, und je länger sie den
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