Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
Rosenkranz unbeteiligt durch ihre Hände laufen ließ, umso erregter schnaufte sie vor sich hin. Das Kerzenanzünden überließ sie Riecke, ebenso rührte sie keinen Finger bei der Grabpflege. Als Riecke sie empört anraunzte, entschuldigte sie sich fahrig und lief einfach weg.
Es konnte nicht anders gewesen sein. In Barbaras Kopf walzten Lawinen von Kombinationen und Erinnerungen. Es war kein Scherz, vor Gregors Grab. Bernward hatte recht. Sie war das Kind des französischen Feldwebels Ludwig Heiteren, Marias zweitem Mann. Deshalb die von Maria zugestandene Ähnlichkeit. Und ihre Mutter hieß Colette! Jene Colette- Pompadour, der sie als Kind in Breisach so schicksalhaft begegnet war. Jetzt war sie eine grässlich aufgeschwemmte und entstellte Wanderkomödiantin, die in Tennenbach mit ihrer Truppe auftreten wollte. Nein, die Hexe hatte nicht gelogen. Vermutung und Realität waren sich im Kloster begegnet, man musste alles nur deuten können. Und jetzt flossen auch die Erinnerungen, jetzt machte das seltsame Verhalten dieser Colette-Pompadour von damals Sinn! Sie hatte erkannt, dass dieses von Zisterziensern begleitete Kind ihre ungewollte Tochter sein müsste. Deshalb die verblüffenden Anspielungen auf Alter und Geburtstag!
Barbara brauchte sich nicht mehr anstrengen. Gut erinnerte sie sich an das mit Gregor und Johannes angeschaute Theaterstückchen, in der Colette eine Marquise vorstellte, deren Mann sich als grober Hanswurst benahm, hingegen der Diener sich als galanter Kavalier aufspielte. Eine mit Pantomimen durchsetzte Verwechslungskomödie hatte die Compagnie de la Reine zum Besten gegeben. Mit kräftigen Unflätereien. Da war die Szene, in der der Marquis – er war ja verzaubert! – seiner Frau verkündete, sie solle ihm nicht übelnehmen, dass er vergessen habe, seine Hosen zu wechseln. Den Brief, den er seit heute früh in der Tasche habe, solle sie sich deshalb nicht zu nahe an die Nase stoßen, er würde ein wenig arg nach dem Futter seiner Hose duften. Was hatte sie damals gelacht. Aber ihre beiden Mönche hatten sie irgendwann weggezogen, weil die schlüpfrigen Annäherungen des Dieners immer unsittlicher geworden waren.
Eine lange Weile stand Barbara in ihre Erinnerungen versponnen vor dem Grab Ludwig Heiterens. Sie hatte gleich gesehen, dass Maria schon dagewesen war. Die Blumen waren frisch, sogar eins von beiden Windlichtern flackerte noch. Barbara tröstete sich, dass sie Maria wahrscheinlich gar nicht gezielt hätte fragen können. Schließlich ging es um eheliche Untreue. Viel besser wäre es, sich in Ruhe einen Plan auszudenken, wie einst, wo sie hinter die Geheimnisse der Champagnerherstellung zu kommen gedachte. Denn schöpfte Maria Verdacht, hätte sie deren ohnehin schon schweres Leben vollends zerstört. Also würde sie ihr bald einen Besuch abstatten. Ein Grund würde sich finden.
Barbara schickte sich gerade an zu gehen, da drehte sie sich noch einmal um und betrachtete das kleine runde Kupferrelief, das Maria am eisernen Grabkreuz hatte anbringen lassen. Das Profil sei gut getroffen, hatte Maria ihr vor einem Jahr mit Tränen in den Augen erzählt. Ein Burkheimer Kupferschmied hätte es nach einem Tabatierenbild gemacht. Aber wie fühlte es sich an, dieses Profil?
»Eure Tochter wird sich erlauben, Euch die Wange zu streicheln, mon papa «, sagte sie vorwurfsvoll. »Auch wenn Ihr es nicht verdient habt.«
Langsam tasteten ihre Finger das kalte Relief ab. Dabei wurden zwei Wassertropfen zerrieben, die dem dunkel angelaufenen Kupfer etwas Glanz gaben.
»Ludwig, Euer Name heißt der Kämpfer, mon papa «, sagte sie bitter. » Voilà , Euer Kinn! Markig, energisch! Eure Wange, wie weich! Wie sinnlich! Die Colette, ‘at sie sanft gekühst, wie?«
Hatte sie jemand gehört? Barbara starrte mit wild klopfendem Herzen auf das Relief. Sie wagte nicht, ihre Finger anzuschauen. Es war wider alle Vernunft, dieser Schlag. Wie nach einer Verbrennung schmerzten ihre Finger. Barbara bekreuzigte sich. Der Friedhof war nun fast leer. Die Toten wollte ihre Ruhe haben.
19
Jenne saß, den Kopf auf die Ellenbogen gestützt, vor dem Kanapee und hörte zu. In der Faust hielt sie ein feuchtes Leinentuch, Jacobs alter braunvereiterter Verband lag zusammengeknüllt auf dem Boden. Auf dem Beistelltisch neben ihr standen Schüsseln mit Salbei- und Eichensudwasser, ein Fläschchen Ringelblumenöl und das Schälchen mit der Hamamelissalbe. Die ländliche Hausapotheke gegen Entzündungen und schwärende
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