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Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Blutholz: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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Blessuren. Gelegentlich warf sie einen Blick auf Jacob, aber der war eingeschlafen, hatte gerade leise zu schnarchen begonnen. Maria musste ihm, während sie die eklig eiternde Oberschenkelwunde versorgte, seit neuestem zum Zeitvertreib vorlesen. Am liebsten einige von den Gellertschen Fabeln, bei denen er dann mit schöner Regelmäßigkeit einnickte. Doch obwohl er schlief, durfte Maria einige Zeit nicht aufhören zu lesen, Jacob wäre schnell wieder aufgewacht. So kam Jenne in den Genuss einer ruhigen halben Stunde, die Maria ebenfalls zu genießen schien. Der Duft der ätherischen Öle tat beiden wohl, und im Stillen wünschte Jenne sich jedes Mal, Jacob würde nie wieder zu sich kommen.
    »Hörst du eigentlich immer zu?«, fragte Maria.
    Solange Jacob nicht aufwachte, unterhielt sie sich gerne noch ein zweites halbes Stündchen mit ihrer Magd. Meistens redeten sie über das Leben, Gott und die Welt, denn zu kostbar waren diese Minuten, um sie für den Dorfklatsch zu vergeuden.
    »Schweifen dir die Gedanken nie ab? Ich glaub’, dass es mir so gehen tät’, würd’ mir jemand vorlesen.«
    »Wenn’s zu lang wird, kommt’s vor«, sagte Jenne. »Oder wenn ich was nicht versteh’. Aber auch, wenn’s mich richtig packt. Wie der Schulbasti einmal gelesen hat, den Gulliver, da bin ich gleich in dem Bild hängen geblieben, wo die Zwerge ihn am Meer gefesselt haben.«
    »Und wenn du den siehst, wie er jetzt daliegt, dann denkst du auch nur an die Geschichten? Glaubst etwa, Jenne, mir ist’s nicht aufgefallen, damals? Wie du so bedrückt rumgelaufen bist, weil er dir nachgestellt hat? Ich hab’s dem Ludwig erzählt. Eine Woche später war er tot. Was dazu passen würd’, ich hab es mir nie auszumalen gewagt. «
    Jenne blickte Maria mit weit aufgerissenen Augen an. Dass Maria sie so unvermittelt auf ihre schlimmste Zeit ansprach, die Monate, in denen sie von diesem jetzt friedlich Schnarchenden so oft missbraucht worden war. Warum? Dreiundzwanzig Jahre hatte sie geglaubt, es wäre ein Geheimnis, und in diesen dreiundzwanzig Jahren war sie soweit damit fertiggeworden, dass sie nicht mehr dran denken musste, wenn Jacob außer Haus war. Jetzt, wo sie ihn pflegte, war sie natürlich vor Genugtuung aufgeblüht, so sehr, dass Bernhard einmal verwundert gesagt hatte, ihre Pockennarben würden sich von Woche zu Woche mehr glätten. Aber antworten konnte sie nicht. Kein Satz wollte sich finden, und nur Gefühle würden ausbrechen, wenn der Kloß im Hals sich löste.
    »Ich weiß auch nicht, Jenne«, sagte Maria zögernd. »Es steigt mir von Tag zu Tag weiter auf. Weil er alles so selbstverständlich hinnimmt. So lang ich ihn kenn’, hat er noch nie danke gesagt. Dann seh’ ich aber dich, hör’ mich vorlesen …«
    Jenne deutete mit einem besorgten Kopfnicken auf Jacob, der sich gerade bewegt hatte, nach einer Weile zum Glück aber wieder zu schnarchen anfing. Maria winkte verächtlich ab und zog ein Gesicht, das ausdrücken sollte, wer so regelmäßig schnarcht, hört nichts.
    »Wie lang soll das noch so gehen?«, fuhr sie fort. »Ich sag’s dir: Es wird nichts mehr mit der Wunde. Weil ihn Valentins Fluch verfolgt.«
    »Du meinst«, brachte Jenne endlich einen Ton heraus, »weil der Ludwig wegen mir, am Tag, wo sie zum Holzschlagen …? Du meinst, Jacob …«
    »… dazu wär’ er zu feig gewesen«, sagte Maria hart. »Und was nützte es jetzt? Zum Schlimmsten, mit dir, kam es ja erst nach seinem Tod.«
    Mit einem gewaltigen verschluckten Schnarcher wachte Jacob auf und blinzelte die ersten Sekunden feindselig an die Decke. Dann schaute er mit eisigen Augen Maria an. Mit einem unwirschen Stöhnen forderte er Jenne auf, ihm beim Aufstehen behilflich zu sein. Denn Laufen konnte er, solange es ihm gelang, den Schmerz zu verbeißen. Bis zu vier Stunden hielt er es aus, zog das verletzte Bein nach, als steckte es eingegossen in einem aufrechten Kanonenlauf. Verächtlich stieß er mit dem Fuß das vereiterte Leinen zur Seite, klopfte leicht auf den frischen Verband, wobei sich ein zufriedener Ausdruck in seinem Gesicht breitmachte.
    »Habt ihr über mich geschwatzt, oder hast gelesen, Maria?«, fragte er dumpf. »Ich habe geträumt, ich wäre Christophorus. Hatte eine Bütte aufgeschnallt, die immer schwerer wurde. Als ich mich umdrehte, saß mir Valentin auf dem Buckel.«
    »Deshalb hast so g’schnarcht, wie?«, sagte Jenne. »Weil das so anstrengend war?«
    »Und, was hast du gefühlt?«, fragte Maria. »Hast du keinen

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