Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
Fall, dass sie heute nicht an ihr Ziel käme, hatte sie jetzt für sich eine wunderbare Ausrede. Konnte sie sich doch mit der Hoffnung trösten, es jederzeit noch einmal zu versuchen.
Selbstverständlich wurde sie gefragt, ob es wahr sei, was die Gerüchte verbreitet hatten. Nicht im mindesten irritiert oder gar beschämt plauderte sie im harmlosesten Ton von den vorgebrachten Beschuldigungen, doch beschönigte sie die ihr vom Gericht gemachten Auflagen. Alles sei nur halb so schlimm, als unerfahrene Geschäftsfrau habe sie Lehrgeld zahlen müssen. Auf die Zukunft sei es aber gut angelegt. Sie habe gelernt, dass die Männer gegen eine Frau enger zusammenstünden als im Krieg gegen den Feind. Maria schaute Jenne bedeutungsvoll an.
»Aber es geht so sicher wieder aufwärts, wie es einen nächsten Sommer gibt«, sagte sie selbstbewusst. »Und zum Zeichen, dass eine, die Barbara van Bergen heißt, nicht aufgibt, richte ich am zweiten Advent einen Empfang aus. Dazu möchte ich euch einladen. Er ist für all diejenigen, die nicht mit Fingern auf mich gezeigt haben.«
Auffordernd blickte sie Bernhard an, dessen Gesicht sofort hell aufleuchtete. Dabei zuckte es um seinen Mund, und unwillkürlich ballten sich seine Hände zur Faust. In einem eigenartigen Ton, der einerseits das Gekünstelte des Theaters imitierte, andererseits aber persönliche Distanz und Überlegenheit zum Ausdruck brachte, bedankte er sich. Dann setzte er eine wichtigtuerische Miene auf und schaute Barbara vielsagend an:
»Manche Geheimnisse schmelzen schneller als ein Schneemann in der Frühlingssonne, Madame. Deshalb müssen wir gleich den Grund für unser eigenes Fest verraten.«
»Er redet sonst deutlicher«, sagte Maria. »Aber jetzt will er’s umständlich machen, weil du tatsächlich die erste bist, die es erfährt. Aber noch darf ich unsere Einladung aussprechen, erster Advent, Schnitzersches Schlachtfest. Wir rechnen auf dich und deinen Begleiter.«
Barbara war verwirrt. Da hatte sie gegrübelt, wie sie ihren Besuch rechtfertigen könnte – auf ihrem Empfang konnte sie, um die wenigen wirklichen Kunden zu beeindrucken, kaum genug Gäste haben -, und jetzt überrumpelte sie eine Gegeneinladung. Auf einmal wirkte Bernhards theatralische Effekthascherei auf sie schal, und der verschlagene Zug, der sich in seinen Blick geschlichen hatte, machte die Herzlichkeit des Anfangs zunichte. Allein Marias Gegenwart verhinderte, dass ihr Dank nicht zu misstrauisch klang.
»Es ist so, Barbara«, sagte Maria, »mein Polterer hat sich dazu durchgerungen, sein Hausherrenamt dem Sohn zu übertragen. Auf Probe, bis zur Hochzeit. Warum, brauch’ ich nicht zu schildern. Deshalb das Fest.«
»Du erzählst dies, als ob du danach in einen Sarg ziehen müsstest«, sagte Bernhard verdrossen und erhob sich. »Du verhagelst mir allen Appetit auf den Advent. Benimmst du dich dann auch so, vergraulst du nicht nur die Schwiegertochter, sondern auch Madame van Bergens Justitiar.«
»Schön, dass du uns allein lassen willst, mein Sohn«, sagte Maria böse. »Leiste deinem Vater doch Gesellschaft. Er probt in der Schankstube das Altendasein. Am Nebentisch sitzen die künftigen Hausherren, noch einen Tisch weiter die nach ihnen Ausschau haltenden Schwiegertöchter. Es wartet alles auf dich.«
Bernhard schluckte und lief rot an. Die Demütigungen Marias nicht mit einem Wutausbruch reinzuwaschen, kostete ihn sichtlich allergrößte Beherrschung.
»Wir sehen uns«, quetschte er mühsam vor Barbara heraus. »Entschuldigt. Es ist nicht meine Schuld.«
Jenne lief ihm hinterher. In das Schlagen der Haustür mischte sich ihr empörter Schrei und Hundegebell.
»Bitte verzeih mir«, sagte Maria verzweifelt. Sie war aus ihrem Armlehnstuhl aufgesprungen und beschwor mit flehenden Augen Barbaras Verständnis. »Diesmal war es wirklich meine Schuld. Aber es ist die Angst, die so spricht. Barbara, ich brauche deine Hilfe.«
Barbara konnte nur nicken. Immer noch hatte sie Bernhards wutverkrampftes Gesicht vor Augen. Befangen und verständnislos sah sie Maria an, wollte nicht wahrhaben, was sich gerade abgespielt hatte. Es grauste ihr, am liebsten wäre sie weggelaufen.
»Ja, ja, natürlich«, sagte sie schließlich eher tonlos. Es überfiel sie die Angst, Maria würde etwas Unerfüllbares fordern. Auf einmal verwünschte sie ihre Vertrautheit mit dieser Frau, war kurz davor, ihre Bekanntschaft mit den Schnitzers zu verfluchen. Die nackte Dummheit hatte sie ihre Standesgrenzen
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