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Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Blutholz: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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Blätter anzufassen. Sich mit Bernward darüber zu unterhalten, kam ihr nicht in den Sinn, wusste sie doch genau, dass seinen rationalen Geist derartige Sonderlichkeiten unberührt ließen.
    Eines Tages erfuhr sie beiläufig, dass er sich eine Geliebte hielt. Es traf sie zu ihrer Verwunderung nicht besonders, denn dass ihr Mann kaum Gefallen an einer Frau finden konnte, deren Oberköper schließlich bis über den Busen mit einem borkigen Ausschlag befallen war, leuchtete ihr ein. Längst hatte sie gelernt, mit diesem Stigma zu leben, wichtig war für sie bald nur noch, dass Hände, Hals und Gesicht nicht ebenfalls überwuchert wurden. Ihre Spaziergänge bekamen indes etwas Manisches. Immer früher stand sie auf, immer später kehrte sie zurück. Es gab Wochen, in denen sie Bernward überhaupt nicht mehr sah, besonders in der Zeit der heißen Sommermonate.
    Die Nacht auf ihren dreiundvierzigsten Geburtstag beschloss sie, unter einer Eiche zu feiern. Mit zwei Flaschen Champagner – diesbezüglich war sie Monsieur Ruinart treu geblieben –, etwas Brot und Speck machte sie sich am späten Nachmittag auf den Weg, kehrte aber plötzlich um, ohne es sich genau erklären zu können. Sie wollte Bernward, der leutselig versprochen hatte, wegen ihres bevorstehenden Festtages nach Hause zu kommen, nicht versetzen und mit ihm zu Abend essen. Gemeinsam schwelgten sie in Erinnerungen, schon lange hatten sie keine solch harmonischen Stunden mehr miteinander verbracht. Kurz nach Mitternacht wachte sie auf, getrieben von dem Wunsch, am Eichberg zwischen den Reben zu spazieren. Sie wählte die Route über Emmendingen und passierte, weil sie mit Pferd und Wagen unterwegs war, schon im Morgengrauen die verschlafene Zollstation bei Bahlingen. Von dort war es nicht mehr weit, in gemäßigtem Trab erreichte sie noch in den kühlen Morgenstunden den Eichberg. Nachdem sie das Pferd an der kleinen Kapelle ausgespannt hatte, marschierte sie mit ihrem Korb auf dem alten, ihr vertrauten Weg zunächst in Richtung des Eichenhains. Auf den uralten, halbvermoderten Eichentrümmern wollte sie sich mit einem kräftigen Frühstück und etwas Wein von der Fahrt ausruhen.
    Natürlich hockte sie sich auch auf den Stumpf ihres einstigen Chevalier de chêne . Halblaut unterhielt sie sich mit ihm und erzählte von ihrem Leben. Anschließend schlenderte sie zwischen den Reben, zupfte ein paar Geiztriebe ab, kehrte nach einer Weile aber todmüde zum Hain zurück. Die letzten Schritte fielen ihr zunehmend schwer, sie fühlte sich steif, ihr ganzer Körper juckte. Angelehnt an den Stumpf schloss sie die Augen und fiel gleich darauf in bleiernen Schlaf. Ein seliges Lächeln umspielte ihre Lippen, und obwohl sie bald hart auf die Seite fiel, verspürte sie keine Lust, aufzuwachen.
    Im Traum stählte sie eine ungeahnte Kraft, die ihr die einengenden Kleider in Fetzen sprengte. Befreit richtete sie sich auf, fand bequemen Halt und konnte aus der Höhe ihren Blick weit über die Reben schweifen lassen. Zu ihrer Freude konnte sie überallhin fassen, und jubelnd rauschte sie ihrem Gegenüber einen luftigen Gruß zu. Barbara hatte ihren Namen vergessen und verlor sich an eine neue Welt, eine Welt, in der jede Faser ihres Leibes zu neuem eichenen Leben erwacht war.

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GLOSSAR
    Absetzzeit: Die Zeit, die die Hefe- und Schwebteilchen des vergorenen Mostes brauchen, um sich am Fassboden abzusetzen. Bei der Champagnerherstellung bezeichnet man damit den Zeitraum (ungefähr 14 Tage), bis die verrührte Cuvée wieder klar wird.
    Augen: Die Knospen am Holz der Rebe, sie werden »pelzig«, sobald die Rebe im Frühjahr austreibt.
    Baumkelter: Traubenpresse aus wuchtigen Eichenbalken.
    Bloßhäusler: Landbauern, die außer einem ärmlichen Haus mit Garten (vielleicht noch ein, zwei Stück Vieh und ein paar Hühnern) keinen weiteren Ackerbesitz hatten. Ihr Leben fristeten sie mit Tagelöhnerei und als Lohnknechte bei reichen Bauern.
    Bogenziehen: Vom alten Holz der Rebe bleibt nach dem Winterschnitt nur eine »Zuchtrute« übrig, die in einem runden Bogen heruntergebunden wird. Aus ihr zieht der Rebbauer eine »Gerte«, die am Rebstecken hochgebunden wird. Sie wird im nächsten Frühjahr zur neuen Zuchtrute gebogen.
    Brechstuhl: Ein einbeiniger, um die Hüfte geschnallter Hocker, auf den sich die Rebbauern bei den »Laubarbeiten« setzen.
    Bückiträger: Büttenträger. Trägt die auf den Rücken geschnallte Weinbütte vom Rebstück bis zur Fuhrbütte. Für

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