Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
auf den Fasshahn ihres Dosagefasses, riss ihn ab, und eine widerlich stinkende Brühe ergoss sich in einem Schwall über sein Gesicht. Und was dann geschah, war so grauenhaft, dass Barbara glaubte, den Verstand zu verlieren:
Jacob wand sich vor Schmerzen, und während sein entsetzliches Röcheln in einem Gurgeln erstickte, quoll unter seinen vor die Augen gedrückten Fäusten eine blutige Gallerte hervor. Aus den Fäusten rann braunschwarzer Schlamm, der sich mit Schläfenblut zu einem Rinnsal mischte. Kinn und Stirn verflossen zu einer Art geronnener Brühe, die widerlich nach Verwesung stank. Und sie wurde immer mehr. Denn Schicht um Schicht weichte der nachfließende Fassinhalt das Gesichtsfleisch ein, ätzte es zu einem blasenwerfenden Brei, bis die Schädelknochen zum Vorschein kamen. Ohne den Blick von diesem Grauen wenden zu können, taumelte Barbara ein paar Schritte zurück und brach dann zusammen. Sie glaubte, ein befriedigtes Stöhnen aus dem Fass zu hören, vielleicht waren es aber nur die Klänge des Deliriums, in welchem sie versank. Dass ihr Ausschlag juckte, war das letzte, was sie noch bewusst wahrnahm. Das nächste Bild war eine kolossale Eiche, in deren Blutstrom sie ertrank.
EPILOG
Die Emmendinger Alte hatte mit ihrer Prophezeiung recht behalten. Bernward Gutrechter vertrat die nun als Mörderin angeklagte Barbara van Bergen ein zweites Mal vor Gericht. Wieder erfolgreich, doch diesmal musste er ihr ganzes Vermögen in die Waagschale werfen. Haus und Reben wurden unter der Hand verkauft, ein Teil des Erlöses sollte es den Geschworenen leichter machen, die Beschuldigungen des jähzornigen Vergewaltigers Bernhard Schnitzer als Phantastereien zu verunglimpfen. Die Liebe des Justitiars zur in Burkheim und den umliegenden Dörfern verschrieenen Witwe van Bergen war indes stark genug, dass er sie heiratete. Ohne Aufwand wurde in Freiburg zur Osterzeit 1775 die Hochzeit gefeiert, die alte Riecke genoss einen ruhigen Lebensabend. Vier Jahre später wurde sie neben Cees auf dem Niederrotweiler Friedhof beigesetzt.
Barbara hatte nicht mehr viel von ihrer Mutter. Die schwermütig gewordene Frau, deren Ängste vor einem Komplott von Stiefsohn und Schwiegertochter sich in der Anfangszeit als unbegründet erwiesen, besuchte sie in den ersten beiden Jahren vier-, fünfmal in Freiburg. Doch nach jedem Besuch fiel sie ein Stück tiefer in ihre Depressionen, zuletzt saß sie nur noch still in einem Sessel und begann jedes Mal, wenn sie angesprochen wurde, zu weinen. Spätere Einladungen blieben unbeantwortet. Barbara erfuhr nur sehr unzureichend, wie ihre Mutter von Bernhard und seiner Frau, der Gastwirtstochter Johanna Dimminger, behandelt wurde. Jahre später behauptete ein Gerücht, Maria Schnitzer wäre eines Tages vom Hof gegangen, nie wiedergekommen und lebe als Hexe im Wald um Emmendingen. Tatsächlich wurde sie aber in Unterrotweil begraben, wobei die einen sagten, sie hätte sich, des Lebens überdrüssig, vergiftet, die anderen aber schworen, sie sei auf ihrer Kammer in einem Lehnstuhl, mit einem Gellertschen Roman in der Hand, sanft entschlafen.
Barbaras erste Ehejahre waren glücklich. Bernward liebte seine schöne, sinnliche Frau und genoss es, sie auf den kleinen Empfängen im Kreis seiner Freunde zu präsentieren. Zum Glück hatte Barbara ihr heiteres, konversationsfreudiges Temperament behalten, doch nachts überfiel sie gelegentlich panische Angst. Wovor, wusste sie nicht genau zu sagen. Sicher verfolgten sie ab und zu die Bilder von Jacob Schnitzers entsetzlichem Tod, vielleicht hatte die Angst aber auch mit ihrem schrundigen Fleck zu tun, der sich langsam ausbreitete und gegen den keine Medizin etwas ausrichten konnte. Er juckte nur selten, vermehrt aber nach einem Spaziergang oder wenn sie mit dem Wagen ausfuhren. Die Ärzte verdienten gut daran, und ihre Rezepte reichten von Quacksalbereien bis zu Theologica. Einigkeit bestand nur darin, dass die Bernward sehr enttäuschende Kinderlosigkeit auf dieses malum ignotum zurückgeführt werden müsse.
Beide ließen sich in ihren ersten Ehejahren jedoch nicht allzu sehr von diesem Fleck einschüchtern. Er kroch zwar um Barbaras Unterleib und behinderte bei gewissen »Spielchen«, aber diese wurden eh weniger, weil Bernward immer mehr in seiner Arbeit aufging. Barbara dagegen befiel immer öfter eine seltsame Unruhe. Es zog sie hinaus in den Wald, wo sie stundenlang verweilte, um Eichbäume zu betrachten, deren Rinde zu fühlen und Eicheln und
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