Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
auf die Baumtrümmer fallen und freuten sich diebisch, dass sie den ersten Tropfen entwischt waren. Die Unruhe der Naturgewalten nahm sie jedoch immer stärker in Besitz. Jeder Bewegung, jeder Geste und Antwort wuchs eine geheimnisvolle Vertrautheit zu, die sie aneinander fesselte. Und die wiederum weckte das Verlangen, den anderen zu berühren und die sich unter der Eiche aufladende Spannung zu teilen.
Das immer schärfere Donnern kümmerte sie nicht, auch nicht die gespenstisch gleißenden Blitze, die durch das Dunkel der rauschenden Blätter zuckten. Aber noch war das Gewitter nicht über ihnen. Und jede Minute, die sie auf den Baumtrümmern saßen, schweißte sie in verschwörerischem Mut ein Stück enger zusammen.
»Monsieur haben nicht an die Goldkelche gedacht?« neckte Barbara ihren Mitstreiter, griff aber beherzt nach dem Trinksack und tat einen langen Zug. Beide waren sie sich einig: besser hatte noch nie ein Kuchen geschmeckt. Als ob sie eine heilige Handlung zelebrierten, brachen sie Marias Zopf und teilten sich den verdünnten Wein.
Ein helles Krachen ließ sie zusammenfahren, das Gewitter hatte sie eingeholt. Immer mehr Tropfen schlugen durch das Blätterdach und der Wind bekam einen kalten Ton, der Barbara ein Frösteln über den Rücken jagte. Fürsorglich legte Bernhard ihr seinen Rock um die Schultern, und beide starrten sie mit zunehmend mulmigeren Gefühlen in die Krone, deren bizarres Geäst unheimliche Schatten warf. Der Wind hatte das Rauschen in ein tiefes Brausen verwandelt, das durchsetzt war vom Stöhnen und Knacken der Äste. Wieder einmal trotzte die Oberrotweiler Eiche einem Unwetter, stemmte ihren jahrhundertealten Körper gegen die Böen, so sehr sie ihn auch zausten und verrenkten. Nur wenige Augenblicke konnte Bernhard genießen, dass Barbara sich an ihn geschmiegt hatte. Dann zerstörte ein entsetzlicher Schlag sein Glück, gefolgt von einem ungeheuer langen Blitz, dessen erbarmungslose Helle seine und Barbaras Augen für einen Moment erblinden ließ.
»Ich habe Angst!« schrie Barbara und entwand sich seiner schützenden Umarmung, doch nur, um ihren Beschützer hochzureißen. »Schnell! In meinen Keller!«
Wie von Dämonen gejagt, hetzten sie aus der unwirtlichen Aura des Baums – er vorneweg, sie fest an der Hand. Und dabei passierte, was Bernhard insgeheim gehofft hatte. Barbara verstolperte sich mit ihren Absätzen zwischen den Reben und riss ihn mit zu Boden. In der strömenden Flut fanden sich endlich ihre Lippen und entfesselten alle aufgestauten Wünsche. Barbara forderte keine Beherrschung und Bernhards Küsse brauchten sich nichts erbetteln. Für beide gab es kein Genug. Sie verschlang seine Liebkosungen, mit denen er Busen und Schoß bedeckte, er tobte seine Gier aus. Jede Berührung brachte stärkeres Verlangen, reizte zu gewagterer Lust – bis jede Faser ihrer Körper befriedigt war. Der Regen weckte sie aus ihrem Rausch, ein zunehmend kälter gewordener Regen, der unbarmherzig in ihre ermatteten Sinne drang.
Verwirrt blinzelten sie sich an, durchweicht und verschlammt, um sich das abziehende Gewitter. Barbara fasste sich zuerst, drückte Bernhard einen Kuss auf den Mund und sprang dann unvermittelt auf, als wolle sie weglaufen. Doch noch im selben Augenblick besann sie sich eines andern: Ihren Blick tief in seine Augen versenkt, bückte sie sich und legte Bernhard die Hand auf den Mund. Dann erhob sie sich langsam. Bevor Bernhard etwas sagen konnte, schüttelte sie den Kopf, legte den Zeigefinger auf ihre Lippen und ging zuerst langsam, dann zügig in Richtung Stadt.
14
Dass Riecke wie eine giftige Großmutter zetern konnte, bewies sie, als sie Barbara in Empfang nahm. Den ganzen Nachmittag über habe sie sich Sorgen gemacht! Ob Barbara das Schicksal herausfordern wollte, an diesem unglückverheißenden ersten August? Riecke lamentierte wie einst die Breisacher Schwestern, schalt Barbaras unsinnige Arbeitswut und schwor, Cees alles zu erzählen. Ihren ersten Wein würde Barbara kaum keltern, wenn sie so weitermachen wolle. Ja, sie hätte den Tod in Begleitung gehabt! Und wenn er sie die nächsten Tage verschone, läge es nur an den Tees, die sie jetzt kochen würde und die Barbara auszutrinken habe, ob sie wolle oder nicht. Ins Bett prügeln würde sie die Madame am liebsten, es jucke ihr schon in den Fingern. Und sie könne froh sein, dass sie, die alte Riecke, nicht wirklich ihre Großmutter sei.
Barbara sagte kein Wort, während Riecke ihr die nassen
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