Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
seinen Sohn dann, fuhr sie fort, sich ihm mit vorwurfsvollstem Gesicht gegenübergesetzt und Zug um Zug den Rest durchgesägt. Das würde sie nie vergessen.
»Ja, trotzdem! Wer war denn nun zuerst fertig?«, bohrte Catharina nach. »Carli oder das Vater-Sohn-Gespann?«
»Carli«, sagte Barbara. »Der hatte sich kaum beirren lassen. Meister Jonathan wäre stolz auf ihn gewesen. ‘Fertig, Madame van Bergen’, hat er nur gesagt. ‘So hat’s ein Küfer gelernt.’ Ich durfte ihn nicht zu sehr loben, sonst hätte ich die Freundschaft zu dem jungen Schnitzer eingebüßt, aber zu Hause hab’ ich es mit ein paar Kreuzern wiedergutgemacht. Dann dacht’ ich, ich könnt’ ihm den Kopf zusätzlich noch ein wenig verdrehen. Und so hat er von mir zum Abschied noch zwei Küsschen gekriegt, auf die Backe, natürlich.«
»Bestimmt wird er sich jetzt nicht mehr das Gesicht waschen«, scherzte Rudolf. »Und ganz sicher wird er beim Daubenhobeln von dir träumen. Aber sag, der Alte hat sicher nach der Art um Entschuldigung gebeten, dass er jetzt seinen Sohn deiner Fürsorge entziehen müsse. Weil auch sie mit dem Holzgeschäft noch vor der Lese fertig werden wollten. Hab ich recht?«
»Als ob du dabeigewesen wärst«, antwortete Barbara anerkennend. Dann stieß sie nach einer kurzen Pause hervor: »Auf meine Frage, was er denn mit dem Holz anzustellen gedenke, hat er mir heiser ins Gesicht gelacht und geantwortet: ‘Sargholz. Sargholz für alle, die den Namen Schnitzer tragen’. Er werde es nach alter Sitte auf dem Dachboden aufbewahren. Der Rest sei bloß fürs Feuer.«
»Er scheint wirklich eine grobe Natur zu sein«, entgegnete Catharina.
»Scheint?«, platzte Barbara heraus. »Er würde diese Eiche am liebsten umhauen. Baum heißt für ihn nur Holz. Wie bei Cees. Etwas anderes hat leider auch er nicht in den Kopf bekommen.«
Johannes nickte nachdenklich, dann sagte er: »Ein wenig Respekt für die Königin der Bäume darf man schon erwarten. Vor allem, wenn sie schon tausend Jahre den Weltläufen getrotzt hat. Die Schrift berichtet, dass es im Hain Mamre eine Eiche war, in deren Schatten Abraham dem Herrn einen Altar gebaut hat.«
»Und Josua hat zum Zeugnis des Bundes zwischen Gott und Israel den Schwurstein ebenfalls unter einer Eiche aufgerichtet«, ergänzte Catharina beflissen. Sie schaute Rudolf an, ob er auch etwas zum Ruhm von Barbaras Lieblingsbaum beizutragen wusste, aber Rudolf machte eine hilflose Geste. Doch gerade als er sich einen neuen Schluck Wein einschenkte – Barbara hatte zur Feier des Tages zwei Flaschen Burgunder aufgemacht – fiel ihm doch noch etwas ein.
»Es ist nur eine Sage aus dem Schwäbischen. Dort hat irgendwer, dem vielleicht einmal ein Eichenprügel auf den Fuß gefallen ist, gleich die ganze Art in Verruf gebracht. Obwohl es zum oft düster verrenkten Gehabe dieser Bäume passen würde: Nämlich, dass sich Judas an einer Eiche aufgehängt haben soll.«
Barbara klatschte so unvermittelt in die Hände, dass alle erschrocken zusammenzuckten. Während Riecke das Kaffeegeschirr abräumte, jubelte sie: »Uns geht’s jetzt wie Kindern, die sich Geschichten erzählen. Das nenn’ ich mir einen Geburtstag. Ich will noch mehr hören!«
»Kind! Was in der Schrift steht, sind keine Geschichten«, entgegnete Catharina streng. »Bruder Rudolf wird der Burgunder diese Sage auf die Zunge gelockt haben. Mir jedenfalls ist noch überhaupt keine begegnet, die von Eichen oder sonst welchen Bäumen handelt.«
»Man muss dieser Art von Unterhaltung auch besonders zugetan sein, Schwester Catharina«, entgegnete Johannes. »So wie einst unser Abt Vater Leopold. Gott hab ihn selig. Wie hat er nicht Ovids Metamorphosen geliebt! Sagen, Märchen und Mythen aus dem Volk galten ihm ebenfalls viel.«
»Dies klingt so, als ob du uns ein Leopoldsches Märchen erzählen wolltest«, drängelte Barbara. »Bitte. Dann wird Vater Leopold noch viel lebendiger für mich.«
»Barbara, du unsere ungeduldige Tochter: Ich muss dich enttäuschen. Allenfalls könnte ich etwas vom Ovid nachstottern: Wie Zeus das hochbetagte Priesterpaar Philemon und Baucis seiner Redlichkeit wegen am Schluss ihres Lebens in eine Eiche und eine Linde verwandelt hat.«
»Das ist beinahe Volksgut geworden«, sagte Catharina. »Aber«, und damit hob sie triumphierend ihr Glas und lächelte Bruder Rudolf an, »eine rechte Schulschwester kennt natürlich auch den Ovid. Und wie bei Bruder Rudolf wirkt jetzt dein Burgunder bei mir,
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