Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
Barbara füllte ihre Bütte immer ein Stück schneller, teils weil sie mehr Leseübung hatte, teils weil sie allen Ehrgeiz daransetzte, nicht als verweichlichte Kaufmannswitwe dazustehen. Und als nach einiger Zeit jeder seinen Rhythmus gefunden hatte, sah es so aus, dass immer dann, wenn Maria sich zur großen Fuhrbütte aufmachte, Barbara gerade von ihr zurückgekehrt war und bereits wieder den Leseeimer füllte. Es tat ihr wohl, dass sie Bernhard nur selten über den Weg lief, denn um alles in der Welt durfte sie in diesem offiziellen Trauerjahr nicht ins Gerede kommen. Auch wenn sie es nach dem Aufwachen manchmal kaum aushielt, lieber half sie sich selbst als ihren Ruf aufs Spiel zu setzen. Und – verliebt war sie in Bernhard ja gar nicht. Was sie faszinierte, war sein Körper. Zwar wurde sie immer ein bisschen eifersüchtig, wenn ein anderes Mädchen in seiner Nähe war, aber dies ging nicht ans Herz, verletzte nie ihre Seele. Bis jetzt hatte Bernhard geschwiegen, ihr auch keine eindeutigen Blicke zugeworfen. Vielleicht stimmte es ja: aus den Augen, aus dem Sinn. Es mit diesem Sprichwort zu halten, war sicher das Klügste.
Zwei Tage später stand sie mit Riecke zwischen ihren Reben. Die alte Haushälterin strahlte an diesem Tag das erste Mal seit der Todesnachricht wieder etwas von ihrer früheren Unbekümmertheit aus. Ihr war es zu verdanken, dass die Kuh, die vor die Fuhrbütte gespannt war, nicht ständig glaubte, die Weinstöcke zertrampeln zu müssen. Ein sichtlich geschädigtes Tier, das seit Jahren Fuhrbütten ziehen musste und wohl eines Tages darauf gekommen war, dass nur die Vernichtung der Weinstöcke ein Ende der Fronarbeit bedeuten würde.
Schon am Abend zuvor hatte Barbara einen der beiden Schnitzerschen Herbstleute gewonnen, zwei Tage bei ihr Dienst zu tun. Doch wie es für Tagelöhner üblich war, nahmen sie sich nicht nur viel Zeit, für jede getragene Bütte eine Kerbe in den zum Stützstock umfunktionierten Rebstecken zu schlagen, sondern hielten es auch mit der Lese nicht zu genau, in der Hoffnung, nach Abschluss des Herbstens beim Nachsuchen auf ihre Kosten zu kommen. Denn dann durfte sich jeder an den hängengebliebenen Trauben und Beeren bedienen. Und manch armer Bloßhäusler presste aus dem nachgelesenen Gut mit Hilfe seiner kleinen Tischkelter noch so viel Most, dass er sich, bei etwas Zusatz von Wasser, einen einigermaßen trinkbaren Wein ausbauen konnte. Nicht viel, aber immer noch war ein Fass von einem halben Eimer Inhalt besser als ein leeres Fass.
Dass Barbara privilegiert war, zeigte sich für die meisten anderen Winzer am Abend. Jeder konnte beobachten, wie sie die beiden großen Fuhrbütten in ihren ausgehauenen Lösskeller einfuhr und den zuerst gelesenen Elbling und Räuschling in mehrere bereitgestellte Zuber füllte. Rebbauern und Herbstleute nickten sich nur zu, machten ein bedeutungsvolles Gesicht, und hie und da fielen auch ein paar neidische Worte. Denn wer konnte sein Lesegut schon in den eigenen Keller fahren! Denn das bedeutete, dass dieses junge Ding sowohl eine Traubenmühle als auch eine eigene Kelter besaß! Und wirklich: Barbaras ganzer Stolz war eine Baumkelter, die sie den Ihringer Brüdern gegen geringes Geld abgeschwatzt hatte – sozusagen als Gesellenlohn für die jahrelang geleistete Arbeit in den Reben und, Rudolf konnte gar nicht mehr nein sagen, als Hochzeits- und Geburtstagsgeschenk für alle zukünftigen Jahre.
Den Abend darauf fuhr sie den Weißburgunder und den Ruländer in den Keller und feierte, nachdem sie den Herbstmann entlohnt hatte, mit Riecke ein kleines Fest. Eine zünftige, kräftige Winzermahlzeit, mit viel Speck und Wurst, Rettich, Käse und Kümmelbrot, mit einfachem Trinkwein und – Barbara hatte sich in den Kopf gesetzt, damit ihren Keller zu taufen – einer Flasche Ruinart.
Betörender als das kostbarste Parfüm empfand sie den klaren, erdig-würzigen Duft, der aus den Zubern stieg und konnte es noch gar nicht so richtig fassen, dass die Großvaterreben ihr eine so vielversprechende Traubenausbeute geschenkt hatten.
»Es sieht so viel aus, als könnten wir den ganzen Keller mit Most fluten«, sagte Riecke. »Und Meister Jonathans Fässer sollen dies alles schlucken?«
»Zusammen mit den alten van Bergenschen«, entgegnete Barbara und zeigte auf zwei Fässer, deren dunkle Farbe sich deutlich vom hellen sauberen Holzton der anderen unterschied. »Die beiden Riesen fassen allein fünf Ohm. Etwas weniger nehmen diese vier auf,
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