Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
Barbara.«
»Erzähl, maman !«, rief Barbara mit leuchtenden Augen.
»Also«, begann Schwester Catharina. »Ein griechischer Königssohn, seinen Namen hab’ ich allerdings vergessen, ein richtig anmaßender Wutkopf, wollte in einem der Göttin Demeter geweihten Hain die dort älteste und ehrwürdigste Eiche umhauen lassen. Einen sozusagen heiligen Baum, der vom Volk mit weißen Binden, Kränzen und Votivtäfelchen geschmückt war. Diese ehrwürdige Rieseneiche war jedoch gleichzeitig Wohnstatt und Lebensbaum einer Nymphe. Aus Angst vor Vergeltung weigerten sich die Sklaven natürlich, Hand an die Eiche zu legen. Da riss der Frevelprinz selbst die Axt an sich, gab nichts darauf, dass im selben Augenblick der Baum zitterte und sein Laub blasser wurde und tat den ersten Hieb. Blut floss hervor, und plötzlich ertönte die sterbende Stimme der Nymphe, die dem Frevler Rache prophezeite. Aber der Prinz war wie von Sinnen. Hieb weiter auf den Koloss und fällte ihn schließlich. Zur Strafe wurde der Baumfrevler von Demeter in den Bettlerstand gestoßen und mit einem nie zu stillenden Hunger gepeinigt.«
»Das lässt sich hören«, entgegnete Rudolf. »Solche Geschichten aus den Gelehrtenbüchern dringen allerdings nicht in den Konversenstand. Selbst Bruder Johannes scheint sie ja vergessen zu haben.«
»Ich würde lügen, wäre es anders«, sagte Johannes kleinlaut. »Aber wir Mönche sollen beten und arbeiten. Vom Lesen hat Benedict nichts geschrieben. Dies sei meine Ausrede.«
Zwanglos plauderte Johannes daraufhin vom Klosteralltag, und bald verklärte jeder auf seine Weise ein Stück Vergangenheit. Riecke musste noch eine Flasche vom Burgunder bringen, dem besonders Catharina so kräftig zusprach, dass sie sich schließlich nur noch von den Zisterzienserbrüdern unterhalten ließ, weil ihre Zunge längst zu schwer geworden war. Zum Abendessen gab es zur Schinkenplatte mit süßem und scharfem Senf ein Tischfässchen Bier, zum Nachtisch einen österreichischen Schmarrn samt einer Flasche Champagner. Selbst der dicke Rudolf klagte irgendwann über Kopfschmerzen. Als endlich alle in ihre Betten gefallen waren, tönte aus Cees’ Zimmer Minuten später ungewöhnlich lautes Schnarchen. Barbara hatte einen unterhaltsamen Geburtstag gefeiert.
16
Eine Woche vor Jacobi hingen die Trauben geschlossen am Fruchtholz und spotteten so der alten Rebbauernregel, die dies erst für den 25. Juli forderte. Folglich war die Beerenhaut schon an Barbaras Geburtstag ziemlich dünn und die Trauben in den heißesten Lagen bereits weich. Ungeduldig warteten daher alle Rebbauern in der ersten Septemberwoche auf die Leseerlaubnis der Weinkommission vom Burkheimer Rat und der Fahnenberger Herrschaft. Am 10. September, dem Beginn der neuen Arbeitswoche, war es soweit: Die Rebzeilen wurden für alle Fremden gesperrt. Jede Gemeinde bestellte einen Rebhüter, der mit ein, zwei Gehilfen nicht nur die Vogelschwärme zu verjagen hatte, sondern auch darüber wachte, dass niemand außer Herbstleuten und Winzern den Reben zu nahe kam.
Die Leseordnung schrieb vor, dass am ersten Tag nur der herrschaftliche, Fahnenberger Wein geherbstet werden durfte. Den Tag darauf wurden die Pfründe der übrigen Weltleute bedient und auf Kirchen- und Klosterbesitztümern gelesen. Erst am dritten Tag war allgemeines Herbsten, wobei natürlich der Zehntwein, der zusätzlich an die von Fahnenbergs abgeführt werden musste, Vorrang hatte.
Als freibesitzliche Rebbäuerin hätte Barbara gleich am ersten Tag herbsten können. Doch um nicht Neid und böses Blut bei ihren Nachbarn zu erregen, deren Reben zu drei Vierteln der Fahnenberger Herrschaft und dem Schwarzwälder Kloster St. Blasien gehörten, hatte sie sich vorgenommen, ihnen die beiden ersten Tage zu helfen. Stünde sie doch, wie sie sich rechtfertigte, tief in ihrer Schuld, als sie am frühen Morgen die Schnitzers und deren zwei angemietete Herbstleute während des Frühstücks überraschte. Außerdem wäre ja kein Regen zu erwarten. Maria und Bernhard waren hocherfreut, nur Jacob zuckte mit den Schultern. Für eine Tragbütte müsse sie dann selber sorgen, sagte er, und gut sei es auch, wenn sie für ihr Mittag selbst sorgen könnte. Denn Jenne hätte, wie sie verstehen müsse, nur auf fünf Essen geschaut.
Barbara ließ sich nicht beirren. An der Seite von Maria herbstete sie den Klosteranteil, der je zur Hälfte aus Elbling und blauem Burgunder bestand. Doch so recht zum Schwatzen kamen sie dabei nicht, denn
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