Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
Unterhaltung. »Zu dem müssten die Kinder doch gern gehen. Und auch wirklich Lust zum Lesenlernen bekommen.«
»Das hebt sich auf, bei unserm Sebastian, so heißt er, wie Ihr vielleicht nicht wisst, Madame«, erwiderte Elisa, die Magd, die vorhin so nervös ihre Locken gedreht hatte. »Was meinst, Johanna, ob der Schulbasti besser liest oder prügelt? Denn, Madame, mit dem Stock hat er grad vorgestern den Sohn von meinem Bauern, den Tobias, so verdroschen, dass der noch beim Nachtessen sich nicht hat hinsetzen können.«
»Aber lesen lernen tut man bei ihm eher«, sagte Johanna nachdrücklich. »Das hab ich an der Kleinen von uns gemerkt, als sie mir aus ‘m Gesangbuch vorkräht hat. Dabei ist sie erst zehn. Aber auf die Backen hat sie’s auch schon verwischt.«
»Dann ist er ja ein Unhold, fast wie der Don Juan, von dem er gerade vorgelesen hat«, sagte Barbara amüsiert. »Einen Klaps hinter die Ohren, da kann ich mich auch noch dran erinnern. Aber mit dem Stock? Da macht sich euer Schulbasti doch nur selbst Schande.«
»Damit muss er’s ausgleichen, dass er soviel Wissen in sei’m Kopf hat«, fuhr Johanna fort. »Und weil sein Weib zu Haus ihm in den Ohren liegt, dass er zwar lesen, rechnen und schön schreiben tut, aber außer’m Lohn fürs Brot und G’müs ihr fast nix bieten kann.«
»Dafür kann er wenig«, entgegnete Elisa. »Die Bloßhäusler zahlen’s Schulgeld nicht und die Bauren zu wenig. Da langt’s auch mit dem Geld vom Priester für den Küsterdienst nicht. Deshalb liest er hier einmal die Woch’. Das bringt ihm ein paar Kreuzer, Wein und Essen umsonst und dem Wirt die volle Stub’. Da kommt er.«
Barbara schenkte selber ein, prostete den Mägden zu und tat einen herzhaften Zug. Sie hatte wirklich Durst, und beim Anblick des Bratenbrots meldete sich ein Appetit, der dem des Schulmeisters nicht nachstand.
»Was hat er denn schon alles vorgelesen?«, wollte sie noch wissen. »Oder seid ihr heute das erste Mal da?«
»Nein, überhaupt nicht!«, rief Johanna. »Letzte Woche gab’s Märchen für die Kleinen, davor die G’schicht’ vom Doktor Faust, und erinnern tu ich mich auch noch an die Abenteuer von dem Griechen, den’s überallhin geschlagen hat. Wo sie dem einäugigen Riesen einen glühenden Pfahl in sein Auge gerammt haben und dann entkommen sind, weil sie sich an den Bäuchen der Widder festg’halten haben.«
»Ja, die Märchen waren schön«, stimmte ihr Elisa versonnen zu. »Das vom Däumling, das vom Aschenbrödel. Und das mit dem Tischlein-deck-dich. Andere auch. Alle kannt’ ich gar nicht. Aber eins davon hab’ ich noch in Erinnerung. Weil’s mit einem uralten Rosenstrauch zu tun hat, von dem ich, wegen seiner vielen Jahre, in Gedanken oft merkwürdig auf unsere Eiche gerutscht bin.«
»Oh, dies Märchen möcht’ ich erzählt kriegen!«, rief Barbara vergnügt, während sie sich einen neuen Becher einschenkte. »Dann rutscht das Brot gleich noch mal so gut. Bin ich doch die Nachbarin von den Schnitzers, und die Eiche ist unser Grenzwächter. Da hab’ ich doch ein Anrecht drauf, ich meine, auf so ein Märchen!«
»Ihr seid es? Die Witwe van Bergen? Mit der eigenen Kelter? Aus Burkheim?« Johanna und Elisa fragten durcheinander, neugierig und glücklich überrascht, hatten sie doch jetzt endlich etwas auf ihren Höfen zu erzählen. Barbara wurde noch einmal gemustert und ihr dabei versichert, welch ausnehmendes Vergnügen es sei, mit ihr am Tisch sitzen zu dürfen. Und ihre großzügige Einladung würden sie nun, nun ganz bestimmt überhaupt nie mehr vergessen können. Barbara winkte ab, kaute betont mit vollen Backen und schenkte den beiden nach. Jetzt wurde ihr zugeprostet, und die Gesichter der Mägde blähten sich vor Stolz, gerade mit so einer von Stand verkehren zu dürfen.
Allerdings zierten sich beide, das Märchen zu erzählen. Denn etwas so im Hinterkopf und Gefühl zu haben, bedeutet noch lange nicht, es auch in einigermaßen nachvollziehbarer Ordnung wiedergeben zu können. Aber das Tuscheln half nichts, Barbara drängelte. Zu zweit würde es schon gehen. Außerdem sei sie nicht der Schulmeister, sondern nur Rebbäuerin. Also: »Es war einmal …«
»… eine ganz stolze, wunderschöne Prinzessin«, begann Elisa nach Barbaras Auftakt, »die keinen Ritter nehmen wollt’ als den, der ihr eine Blume bringen würde, die so schön anzuschauen sei wie sie selbst. Doch hoffärtig wie sie g`wesen war, hat sie sich schon für ein ganz bestimmtes Blümlein
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