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Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Blutholz: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Liebert
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fügten sich ihr zu einzelnen Bildern, die ihr den Rest des Abends nicht mehr aus dem Kopf gingen. Die Nacht verbrachte sie im Delirium, glaubte im Halbschlaf die Flaschen in der Hand zu halten, spürte das schlüpfrige Sediment zwischen den Fingern und lächelte selig, als sie sich die Dosage zusetzen sah. Zu Bernwards Leidwesen war sie am nächsten Morgen natürlich nicht mehr zu bewegen, wenigstens nur einen Tag noch in Freiburg zu bleiben. Unter tausend Beteuerungen schwor sie, ihm all das Gute zu vergelten. Turtelte zum Abschied um ihn herum und küsste ihn sogar auf den Mund. Er müsse sie in der Vorweihnachtszeit besuchen, und dann wollten sie es sich schön machen wie junge Eheleute. Vielleicht dürfe er dann auch einmal an ihr herumknuspern, sagte sie leichtfertig und mit blitzenden Augen. Jedenfalls habe er fast alle Rechte. Bernward seufzte, als er dies hörte, und trotz aller Vernunftkräfte schöpfte er Hoffnung. Noch nie hatte ihm ein Weib so den Kopf verdreht.
    Wieder in ihrem Keller stürzte Barbara sich auf ihre Flaschen. Rüttelte das an der Flaschenwand angesetzte Sediment wieder auf und lagerte die Flaschen schräg Seite an Seite in die Senke der nebeneinander lagernden Fässer. Damit die außen liegenden nicht wegrutschen konnten, schlug sie einen Holzscheit in den Spalt. Auf diese Weise brachte sie ein Drittel der ihr verbliebenen hundertundvierzig Flaschen unter. Dann gab sie bei Meister Jonathans Rechenmacher ein Sprossengestell in Auftrag, das nach der Art zweier überbreiter, gegeneinander geneigter Leitern gebaut werden müsse. Für den richtigen Sprossenabstand überließ sie ihm eine leere Flasche. Einen Tag vor der Lese war das Gestell in ihrem Keller. Jede Seite fasste hundertundzwanzig Flaschen. Barbara war der glücklichste Mensch zwischen Rhein und Schwarzwald.
    Dass sie dieses Jahr nur Trauben für sieben Ohm herbstete, kam ihr gerade recht. Denn es fehlte ihr an Lagerkapazität. Schließlich hatte sie nichts verkauft! Meister Jonathan machte glänzende Geschäfte. Denn Barbara war seit zwei Jahren nicht nur seine beste Kundin, sondern auch die am pünktlichsten Zahlende. Hals über Kopf kaufte sie vier jeweils auf ein Ohm geeichte Fässer, obwohl Riecke bedenklich den Kopf wiegte. Zuviel Geld gebe die Madame aus, und wenn sie so weiterwirtschafte, reiche Cees’ Erbe nicht für fünf, sondern nur für drei Jahre.
    Doch Barbara war nicht zu halten. Ende Oktober hatte sie es bei vielen Flaschen geschafft, das Sediment auf den Korken zu befördern. Sie klügelte sich ein System aus, nach welchem sie ein Drittel der Flaschen nach einer Woche rüttelte, das andere Drittel nach drei Tagen und den Rest täglich, wobei sie die Flasche immer ein kleines Stück drehte. Dabei merkte sie bald, dass bei der einwöchigen Lagerung das ausgeflockte Sediment wie eine Maske in der Flasche klebte, was also wieder Dekantieren erforderlich gemacht hätte. Bei den drei Tage ruhenden Flaschen wirbelte immer wieder etwas vom Satz auf, so dass der Mousseux kaum klarer wurde. Außerdem rutschte das Sediment nur unzureichend in den Flaschenhals. Das meiste sammelte sich vor der Verengung auf der Flaschenwand. Nur bei der letzten Methode wanderte das Sediment dorthin, wo Barbara es nach den Überlegungen des dicken Rudolfs haben wollte, nämlich auf den Korken. Und je mehr sich dort ansammelte, umso klarer wurde ihr Vin mousseux. Barbara konnte es kaum fassen. Sie war den echten Champenois um Meilen voraus.
    Vor lauter Dankbarkeit tat sie ein Gelübde. Nicht vor Anbruch des neuen Jahres wollte sie sich daran machen, das Sediment aus der Flasche zu entfernen, und zwei gute Gründe machten ihr diese Entscheidung leicht. Einmal, weil sie sich um die Dosage, die den Verlust in der Flasche ausgleichen sollte, noch keine Gedanken gemacht hatte, dann, weil sie ihren Vin mousseux noch reifen lassen wollte. Monsieur Ruinart und alle anderen Champenois hielten es so, warum sollte sie es anders machen? Überdies stand die Vorweihnachtszeit vor der Tür. Und da galt es, ein paar Geschäftskontakte aufzubauen.
    Einladungen an einige von Cees’ Freunden, die bei ihrer Hochzeit gewesen waren, machten den Anfang. Die Schnitzers lud sie persönlich ein. Zwar versprachen nur Maria und Bernhard, zu kommen, aber auf Jacob hatte sie gar nicht erst gezählt. Sollte dieser raue Knochen sich an seinem Sargholz erfreuen. Vor Bernhard durfte sie durchaus ein bisschen die Madame von Stand hervorkehren. Das würde dämpfend wirken. Wer

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