Blutige Asche Roman
schließlich auch nur sehr wenig Zeit für mich. Sie besuchte mich alle zwei Monate. Dann brachte sie mir Geschenke mit. Eine Tischdecke und eine rot gestreifte Überdecke. Longdrink-Gläser und ein Bild von einem Boot, zum an die Wand hängen. Sie fand es wichtig, dass es bei mir zu Hause gemütlich war.
Warum, verstand ich nicht. Außer ihr kam ja niemand zu Besuch.
Rosita hatte auch nur selten Besuch, aber öfter als ich. Der alte Mann, der ihr beim Umzug geholfen hatte, kam bestimmt einmal im Monat. Rosita sagte, es sei ihr Stiefvater.
»Und wo ist deine Mutter?«, fragte ich.
Sie erzählte mir, dass ihre Mutter tot war. Sie war ziemlich bald nach der Hochzeit mit ihrem zweiten Mann an Krebs gestorben. Rosita zufolge hatte sich der Stiefvater sehr um ihre Mutter gekümmert, wofür sie ihm auf ewig dankbar sein würde.
»Was macht er hier?«, fragte ich.
»Reden. Reparaturen erledigen. Gucken, wie es Anna geht.«
»Gefällt dir das?«
»Wenn du kommst, ist mir das lieber. Aber er ist nett, außerdem hilft er mir, und das kann natürlich nicht schaden, wenn man alleinerziehend ist wie ich. Aber dass ich ein besonders enges Verhältnis zu diesem Mann hätte, kann ich nicht gerade behaupten. Ehrlich gesagt, besucht er mich bestimmt deshalb so oft, weil er selbst einsam ist. Ansonsten würde er nur zu Hause rumsitzen. Wusstest du, dass er früher mal sehr reich war? Er hat erfolgreich mit Blumenzwiebeln gehandelt, aber alles verloren. Er konnte einfach nicht aufhören zu trinken.« Rosita zündete sich eine Zigarette an und fuhr fort: »Als er meine Mutter kennenlernte, war er nüchtern. Er wolle endlich glücklich werden, hat er gesagt. Aber dann wurde meine Mutter krank. Glücklich ist er nie geworden.«
Der Stiefvater störte mich nicht. Der durfte kommen, sooft er wollte, den Abfluss reinigen und die Möbel streichen. Ein anderer machte mir zu schaffen: Annas Vater. Er war verheiratet und wollte sich nicht scheiden lassen. Deshalb konnte er nicht bei Rosita und Anna wohnen. Aber besuchen tat er sie regelmäßig. Nicht zu festen Zeiten, wie meine Mutter, sondern ganz spontan. »Nur, wenn es ihm gerade in den Kram passt«, hatte Rosita gesagt, mit einem Gesichtsausdruck, den ich nicht richtig einordnen konnte. War es Wut? Oder Trauer?
»Und Anna? Er muss doch für sie sorgen?«
»Mit der anderen hat er drei Kinder, und sie haben keine Gütertrennung.«
»Aber will er denn nicht mit euch zusammenleben?«
»Wollen schon, aber das geht eben nicht. Und weißt du auch, warum?« Rosita inhalierte tief und stieß den Zigarettenrauch sofort wieder aus. Mir fiel wirklich kein Grund ein, warum jemand nicht mit Rosita zusammen sein wollte.
»Weil sie nun mal zuerst da war. Und jetzt sitze ich hier. In einem Haus ohne Bodenbelag, mit seinem Kind. Während sie mit ihm in einer chicen Doppelhaushälfte wohnt und tun und lassen kann, was sie will. Nicht, weil sie was Besseres ist oder schöner oder intelligenter wäre. Und mit Sicherheit auch nicht, weil sie schlanker ist.« Rosita lachte, aber ihre Augen lachten nicht mit. »Nicht mal, weil er sie mehr liebt als mich. Nur, weil sie vorher da war.«
»Du brauchst einen anderen Mann«, sagte ich. Ich wollte schon sagen: Du brauchst mich. Aber natürlich stimmte das nicht. »Du bist für eine Beziehung ungeeignet«, sagte meine Mutter immer. »Keine Frau würde es mit dir aushalten, also geh ihnen lieber aus dem Weg.«
»Natürlich müsste ich Schluss machen. Das Problem ist nur, dass ich ihn liebe. Es gibt niemanden, der auch nur ansatzweise an ihn herankäme. Ich will nur ihn. Verstehst du das?«
Meist kam Annas Vater mitten in der Nacht. Aber manchmal war er auch da, wenn ich Anna ihre Madeleine brachte. Dann bat mich Rosita, kurz auf sie aufzupassen.
»Wir haben so wenig Zeit zusammen, Victor und ich.«
Victor kam einmal in ihren Flur. Er umarmte sie von hinten und sah mich an, während er seinen Kopf auf ihre Schulter legte. Sie sah so glücklich aus, dass ich Bauchschmerzen bekam. In meinen Augen war Victor nichts Besonderes. Gut möglich, dass er intelligent war. Er hatte ein Auto, das man in der Koningin Wilhelminastraat nur selten sah. Trotzdem ignorierte ich ihn. Er konnte zwar so tun, als habe er das
Recht, hier zu sein, aber ich sah in ihm nur den Mann, der die Mutter seines Kindes in einem Haus ohne Bodenbelag wohnen ließ. Sonst nichts.
Als Rosita ins Wohnzimmer ging, um Anna zu holen, versuchte er, sich mit mir zu unterhalten. »Du bist also
Weitere Kostenlose Bücher