Blutige Asche Roman
ging mit dem großen Messer in der Hand nach draußen. Genau in diesem Moment kam die Nachbarin von gegenüber vorbei. Sie grüßte. Ich reagierte nicht, sie besaß nämlich den unordentlichsten Vorgarten von allen. Dann sah sie das Messer in meiner Hand. Ihre Züge erstarrten. »Was machst du da?«, fragte sie mit einer hohen Piepsstimme. Es war mir noch gar nicht aufgefallen, dass sie so merkwürdig sprach. Als müsste sie die Worte durch ihre Kehle pressen. Ich hörte und sah sie, beschloss aber, sie zu ignorieren.
Das dunkelblaue Auto funkelte, obwohl keine Sonne schien. Ich sah zur Seite. Rositas Haustür war geschlossen. Ich stellte mir vor, wie Rosita nach der Hand von Annas Vater griff, ihn die Treppe hochzog, nach oben in ihr Schlafzimmer. Er würde ihr den weißen Bademantel ausziehen. Und sie würde zulassen, dass er ihre Mumu beschmutzte.
Ich holte aus und rammte das Messer mit aller Kraft in den rechten Autovorderreifen. Ein schwaches »Pffffffff« war zu hören, mehr nicht.
Ich stach in alle vier Reifen und konnte gar nicht mehr damit aufhören, bis die Nachbarin so laut schrie, dass Rosita sie wohl oder übel hören musste.
Ich war noch nicht fertig. Mein Blick fiel auf das Raubtier,
das auf dem Kühler des großen Wagens befestigt war. Ein silberner Jaguar, der dabei war, von der Kühlerhaube zu springen. Ich stellte mir vor, wie das Tier sich auf eine unschuldige Beute stürzte. Auf eine wehrlose Kreatur, deren Halsschlagader es ohne jedes Mitleid durchbeißen würde. Ich hatte es oft genug im Discovery Channel gesehen.
Ich riss den Jaguar von der Kühlerhaube. Das war gar nicht so leicht, er war gut daran befestigt. Aber ich war wütend. Und wenn man wütend ist, hat man viel Kraft. Während ich auf den Jaguar losging, stieß ich Schreie aus, die ich selbst kaum wiedererkannte. Sie kamen wie von selbst aus mir heraus, ohne dass ich den Mund bewusst geöffnet hätte. Ich brüllte, vielleicht wie ein Jaguar brüllt, und riss das silberne Tier los.
Danach warf ich den Jaguar durch das Vorderfenster des Autos. Auch das war nicht leicht. Das Fenster hielt lange stand. Erst beim vierten Mal - als es bereits zahlreiche Sprünge hatte - durchschlug der Jaguar das Autofenster. Die Nachbarin von gegenüber schrie, Glas klirrte, und ich brüllte erneut. Endlich ging Rositas Tür auf.
»Verdammt noch mal!« Annas Vater rannte in blau-weißgestreiften Boxershorts nach draußen. »Bist du jetzt völlig durchgedreht?« Seine Stimme überschlug sich. Er lief zu seinem Wagen. Jetzt lachte er nicht mehr. Jetzt sah er nicht mehr so aus, als gehöre er hierher. Er lief um den Wagen herum, versuchte den Schaden einzuschätzen, jammerte, schimpfte, fluchte und zeterte.
Rosita rannte ihm nach, in ihrem weißen Bademantel. Aus einer gewissen Entfernung beobachtete sie die Szene. Ich konnte ihren Gesichtsausdruck nicht richtig einschätzen. War es Wut, Abscheu, Scham, Hochmut, Demütigung oder Triumph?
»Ich glaube, es ist besser, du kommst fürs Erste nicht mehr her«, sagte ich zu Annas Vater. Laut und deutlich.
Während die Nachbarin zu ihm ging und ihm ausführlich Bericht erstattete, drehte ich mich um und ging zurück in meine Wohnung. Ich verstaute das große Messer in der Küchenschublade und wusch mir die Hände. Ich war innerlich ganz ruhig. Ich hatte es richtig gemacht. Ich hatte es prima gemacht.
23
»Wie ist es heute gelaufen?« Ich fragte der Form halber.
»Eigentlich ganz gut«, sagte Petra. »Wir behalten ihn im Auge.«
»Schön.« Was sollte ich sonst dazu sagen?
»Man merkt, dass er gleich viel folgsamer ist, nachdem er etwas mehr Aufmerksamkeit von Ihnen bekommen hat.«
Ich rang mir ein Lächeln ab. Wenn sie glaubte, ich würde mich noch einmal provozieren lassen, hatte sie sich gründlich getäuscht. »Bis morgen dann.«
Ich zog Aron die Jacke an und führte ihn zum Wagen. Es war kalt. Wir hatten ein paar warme Wochen gehabt, aber jetzt warteten wir schon wieder darauf, dass der Sommer zurückkäme.
»Mama, ich hab Hunger.«
»Wir gehen ins Restaurant, mein Schatz.« Ich hatte wieder mal keine Zeit zum Einkaufen gehabt. Oft hastete ich in der Mittagspause zum Supermarkt, aber heute war ich nicht dazu gekommen. Zum Glück mochte es Aron, mit mir essen zu gehen.
»Ich will nicht.«
»Pizza. Das magst du doch? Wir gehen eine leckere Pizza essen, und danach bekommst du von dem netten Mann immer einen Lutscher, weißt du noch?«
Ich gurtete ihn in seinem Sitz fest und versuchte
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