Blutige Asche Roman
bestätigen können, dass es keinen Körperkontakt gab, können wir verhindern, dass sich Ray einer Drogenkontrolle unterziehen muss.« Seine Stimme klang neutral und professionell. Wie sollte es auch anders sein.
»Gut.« Ich setzte mich.
»Nimm ebenfalls Platz, Ray«, sagte Mo.
Er tat wie geheißen, seine Bewegungen waren roboterhaft.
Schweigen.
»Wie geht es dir?«, fragte ich.
»Schlecht.« Er sah mich nicht an, spielte aber mit seinen Händen.
Ich sah zu Mo hinüber, der schräg hinter mir saß. Er nickte mir aufmunternd zu.
»Wieso, was hast du denn?«
»Alle sind gegen mich. Ich weiß nicht, wie lange das noch gehen soll. Bis ich tot bin?«
»Ich bin nicht gegen dich«, sagte ich. »Hörst du? Ich bin auf deiner Seite.«
Er nickte. Tat er das, weil er verstand, was ich gesagt hatte, oder weil er nur meine Stimme registriert hatte?
»Ich möchte dir helfen. Darf ich dir Fragen zu deinem Fall stellen, Ray? Findest du das gut?«
Er reagierte nicht, aber ich beschloss trotzdem weiterzureden. »Ich habe mir deine Akte angesehen. Und ehrlich gesagt, fällt es mir schwer, Hinweise zu finden, die für deine Unschuld sprechen.«
Immer noch keine Reaktion. Im Gegenteil, Ray schien meine Anwesenheit völlig vergessen zu haben.
»Ray? Du musst mir helfen. Ich möchte gern deine Anwältin
sein und ein Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen, aber dann musst du auch mitarbeiten.«
»Was?«
Ich war schon froh über das eine Wort. »Ein Wiederaufnahmeverfahren. Das bedeutet, dass wir das Gericht bitten, deinen Fall neu aufzurollen. Aber dafür brauchen wir ein ›Novum‹. Neue Fakten. Bei einem Wiederaufnahmeverfahren ist die Beweislast nämlich umgekehrt.« Ich überlegte, ob ich nicht zu viele Fachbegriffe verwendete. Man sah ihm nicht an, ob er überhaupt irgendwas verstanden hatte. Einfach weiterreden, dachte ich. »In der ersten und zweiten Instanz muss der Staatsanwalt beweisen, dass du schuldig bist. Jetzt ist es umgekehrt. Jetzt musst du beweisen, dass du unschuldig bist. Mit bereits bekannten Fakten aus deiner bisherigen Akte geht das nicht. Dafür brauchen wir etwas Neues, und das möchte ich gern finden. Aber das geht nur, wenn du mir dabei hilfst.«
»Oh.« Er machte wieder diese Bewegungen mit den Händen, die ich bei Aron auch schon wahrgenommen hatte. Ich musste mich beherrschen, sie nicht zu packen und festzuhalten.
»Wenn du wirklich unschuldig bist, kann ich dir helfen, hier rauszukommen, verstehst du das?«
Ich wollte es eigentlich vermeiden, sah aber trotzdem zu Mo hinüber. Er hörte aufmerksam zu.
»Ja.«
»Was meinst du?«
Er sah mich an, und mir fiel wieder die Ähnlichkeit seiner Augen mit denen meiner Mutter und Arons auf. »Ich will zu meinen Fischen.«
»Ich nehme an, das bedeutet ›Ja‹.«
Er nickte.
»Ich habe dir wieder Fotos von den Fischen mitgebracht. Ich gebe sie dir nachher. Aber erst müssen wir über deinen Fall sprechen, einverstanden? Willst du mir erzählen, was an dem Tag geschah, als Rosita und Anna ermordet wurden?«
Ich sah die Panik in seinen Augen.
»Wir können auch mit anderen Fragen anfangen.«
Er nickte heftig. Wie ein Kleinkind.
»Mit wem war Rosita befreundet? Bekam sie manchmal Besuch?«
»Natürlich bekam sie manchmal Besuch.« Er klang jetzt wütend.
»Von wem?«
»Von Annas Vater.«
»Victor Asscher. Du scheinst ihn nicht sehr nett zu finden.«
»Nett? Er hat so getan, als sei er mein Freund. Dabei …«
»Dabei was?«
»Er hat sich nicht gut um Rosita gekümmert.« Jetzt klang er wirklich wütend. Seine Augen wurden schwarz, und er sah aus, als könnte er gleich explodieren. Ich sah ihn schon mit dem Början-Fleischmesser vor mir. Hatten Mo und ich uns nicht darauf geeinigt, dass er ein sanftmütiges Wesen besaß? Im Moment sah das anders aus.
Ich holte meinen Notizblock aus der Tasche und schrieb den Namen Victor Asscher auf. »Wieso kümmerte er sich nicht gut um sie?«
»Er wollte keine Familie mit ihr sein.«
»Wie meinst du das?«
»Er hat ihr keinen Teppichboden gekauft. Und auch kein
Sofa und keine Kleider.« Er schien bei jedem Wort wütender zu werden.
»Du kannst dir eine Auszeit nehmen, wenn du spürst, dass du wütend wirst, Ray. Geht’s noch?«, wollte Mo hinter mir wissen.
»Ja«, sagte er.
Ich zog die Brauen hoch und wollte mir etwas notieren, als mir auffiel, dass es nichts aufzuschreiben gab. Ich drehte mich zu Mo um. »Kann ich fortfahren?«
»Ich glaube schon.«
»Gut. Victor und Rosita, haben die
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