Blutige Asche Roman
Musik, die konnte ich auch nicht ertragen.
Um mich abzulenken, sah ich nach draußen. Es war bereits dunkel, aber wegen der Straßenlaternen war der Garten noch gut erkennbar. Mein Blick fiel auf den Wasserfall in der Ecke. Er mündete in einen winzigen, flachen Teich. So konnten die Vögel darin baden, und Anna lief nicht Gefahr, darin zu ertrinken.
Ich musste an den Sommer denken. Wochenlang hatte ich jeden Tag nach der Arbeit im Garten geschuftet, ohne auf meine Rückenschmerzen zu achten. Ich wollte für Rosita einen perfekten Garten anlegen. Ich wollte, dass sie nach draußen sah und nicht mehr so unglücklich wäre. Und ich wollte bei ihr sein, vor allem das. Meist blieb sie im Haus, aber bei schönem Wetter legte sie sich im Bikini auf die Gartenliege. Das waren die schönsten Tage überhaupt.
Eines Tages stand meine Mutter in Rositas Garten. Ich pflanzte gerade Sträucher, als ich ihre Stimme hörte. »Ray! Was machst du hier?«
Ich erschrak dermaßen, dass ich die Schaufel fallen ließ. »Du hast mir deinen Besuch gar nicht angekündigt.«
»Muss das sein? Warum bist du nicht bei dir?«
»Weil er mir im Garten hilft«, sagte Rosita, die nach draußen gekommen war. »Vielleicht würde er Ihnen auch helfen,
wenn er Ihre Adresse hätte. Wie Sie sehen, ist er richtig gut darin.« Sie trug ein ganz kurzes Höschen und einen Sonnenhut. So einen großen Schlapphut. »Wie Jennifer Lopez«, hatte sie gesagt, was immer das auch bedeuten mochte.
»Stört es Sie, wenn ich kurz allein mit meinem Sohn spreche?«
Rosita stemmte die Hände in die Hüften. »Im Moment hat er ziemlich viel zu tun. Und wir befinden uns in meinem Garten. So gesehen …«
»Komm, wir gehen nach Hause«, sagte meine Mutter. »Darauf habe ich keine Lust.«
»Aber ich«, sagte Rosita. »Ich wollte Sie schon immer mal auf Ihre, wie soll ich sagen, traditionelle Mutterrolle ansprechen.«
»Ein vierjähriges Kind, das den ganzen Tag vor dem Fernseher hockt und immer noch in einem Buggy rumgeschoben wird, ist auch nicht gerade der Inbegriff guter Erziehung.«
»Sie sind ja bestens informiert«, sagte Rosita. »Nur zu. Unser Ray erzählt Ihnen also einiges. Trotzdem würde mich interessieren, warum Sie sich kaum um ihn kümmern. Der arme Junge hat nicht einmal Ihre Telefonnummer. Was soll das denn?«
»Ich habe wirklich keine Lust auf dieses Gespräch. Vielleicht sollten Sie sich lieber eine Arbeit suchen, anstatt sich in das Leben fremder Leute einzumischen. Komm, Ray, wir gehen.«
Ich wollte die Schaufel im Gartenhaus abstellen und mit meiner Mutter nach Hause gehen, aber Rosita hielt mich davon ab. »Bist du jetzt völlig übergeschnappt? Deine Mutter soll mir erst mal die Frage beantworten. Warum hat Ray keine Telefonnummer und Adresse von Ihnen? Was soll das?«
»Ray.« Ich kannte diesen Tonfall. Er bedeutete: Das ist die
letzte Warnung. Wenn ich nicht auf sie hörte, würde sie mich schlagen, genau wie früher. Sie hatte mich oft schlagen müssen, auch wenn ich wirklich mein Bestes tat. »Ich werde noch wahnsinnig mit dir, Ray!«, schrie meine Mutter dann. »Was mach ich nur mit einem Kind wie dir?«
In der Dwingelerheide hatte ich gelernt, mich besser zu beherrschen. Wir hatten Übungen gemacht, mit einer Stoppuhr. Ich durfte zeichnen, und wenn die Stoppuhr piepte, musste ich aufhören. Danach durfte ich wieder weitermachen. Aufhören. Weitermachen. Aufhören. Und weiter, weiter, weiter.
»Das machst du nicht«, sagte Rosita. »Du gehst nicht mit, bis sie dir eine Antwort gegeben hat. Verstanden?«
Ich sah zwischen meiner Mutter und Rosita hin und her. Sie waren beide wütend. Gerunzelte Stirnen, zusammengepresste Lippen. Was sollte ich tun? In diesem Moment nutzte mir die Stoppuhrmethode gar nichts. Wie sollte ich mich zwischen beiden entscheiden?
Ich wusste mir nicht anders zu helfen und lief weg. Durchs Wohnzimmer, wo Anna fröhlich »Ray!« rief, durch den Flur, über den Gartenweg nach draußen. Ich rannte zur Bäckerei und setzte mich dort auf den Boden neben den Mülleimer, bis es drei Uhr nachts war und ich mit dem Brotbacken anfangen konnte.
Erst als ich nachmittags nach Hause kam, merkte ich, dass ich vergessen hatte, die Fische zu versorgen. Das war das erste und einzige Mal, dass mir das passierte. Ich rief ihre Namen, bis ich mich wieder beruhigte. Anschließend brachte ich Anna die Madeleine vorbei.
»Arbeitest du heute noch im Garten?«, fragte Rosita.
»Morgen wieder.«
Von meiner Mutter hörte ich
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