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Blutige Asche Roman

Titel: Blutige Asche Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Pauw
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unterhalten kann als mit ihm.«
    »Dem Psychiater erzählt er auch nicht viel. Er ist einfach nicht sehr gesprächig.«
    »Wenn ich doch nur meine Mutter fragen könnte, ob er schon immer so gewesen ist! Aber sie weigert sich, über ihn zu sprechen.«
    »Das ist nicht weiter verwunderlich. Die meisten unserer Patienten haben ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Familie. Die Scham ist meist sehr groß. Übrigens auf beiden Seiten.«
    Ich dachte an meine Mutter. Dass sie sich schämte, weil sie ihrem eigenen Sohn nicht gewachsen war, konnte ich noch verstehen. Aber nicht, dass sie ihr Leben komplett geändert
hatte, nachdem Ray in Dwingelerheide war. Sie hatte vollständig mit ihrem alten Leben abgeschlossen und ein neues begonnen.
    »Sie sind sehr schweigsam«, bemerkte Mo. Wir hatten den Ausgang fast erreicht.
    »Ich muss über vieles nachdenken.«
    »Das verstehe ich. Sie haben nicht nur einen Bruder, den Sie besser kennenlernen wollen. Ich kann mir vorstellen, dass sie mittlerweile auch gar nicht mehr wissen, wer Ihre Mutter eigentlich ist.«
    Ich sah ihn überrascht an. »Das stimmt.«
    »Wenn Sie reden wollen - Sie wissen ja, wo Sie mich finden.« Er sah mich mit freundlicher Professionalität an, so wie ich meine Mandanten anschaue.
    »Danke.«

36
    Ich ging die Treppe zum Wohnzimmer hinunter. Rosita saß auf dem Sofa und sah fern. Einen Arm hatte sie um Anna gelegt. Sie schauten sich gemeinsam ein gelbes Tier an, das nicht normal sprechen konnte. Ich mochte diesen Pikihatschu, oder wie er hieß, nicht besonders, genauso wenig wie seine Freunde mit den großen Augen. Ich bekam Kopfschmerzen davon.
    Unten an der Treppe blieb ich stehen, ratlos, was ich tun sollte. Was Rosita gemacht hatte, war nicht normal. Das wusste ich. Sie konnte mich ruhig »Dummerchen« nennen, aber ihr Verhalten war auch reichlich merkwürdig. Sollte ich jetzt mit ihr reden? Sie fragen, wie es ihr ginge? Oder sollte ich böse sein? Ich dachte lange nach, wusste mir aber wirklich keinen Rat.
    »Hör auf dein Gefühl«, hatte Margreet immer gesagt. »Dein Gefühl ist der beste Ratgeber.« Was ich im Moment fühlte, war ein schmerzender Pimmel. Und was sagte mir das?
    Mein Blick fiel auf das Foto der nackten Rosita. Jetzt, wo ich wusste, welche Gefahren hinter dem vorgeschobenen Oberschenkel lauerten, bekam ich noch mehr Angst.
    »Ray?«, sagte Rosita, ohne sich umzusehen. Ihr Kopf bewegte sich keinen Millimeter. »Ich glaube, es ist besser, du gehst jetzt nach Hause.« Im Fernseher kämpften das stachelige gelbe Ding und sein weißer Freund mit den rosa Wangen gerade mit einem Drachen. Aus ihren Fingern kamen Blitze. »Bis morgen dann.«

    »Schau mich an, wenn du mit mir redest.« Es war, als hörte ich die Stimme meiner Mutter. Ich hatte meinen Mund geöffnet, meine Lippen bewegten sich, aber die Stimme, die aus mir herauskam, war die meiner Mutter.
    »Wie bitte?«
    »Du hast verstanden, was ich gesagt habe.«
    Man musste Blickkontakt herstellen. Das gehörte sich so. Das hatte man mir bereits gesagt, als ich noch ein kleiner Junge war und zu Hause wohnen durfte. Der Psychiater in der Dwingelerheide hatte mir das wiederholt gesagt. Und Rosita auch.
    »Werd langsam wieder normal.« Jetzt sah sie mich an. Es war auffällig, wie bleich sie war. Noch blasser war als vorhin, als sie ihre Hose heruntergezogen hatte und … Sogar ihr Mund war bleich.
    »Du hebst mein Kinn, wenn ich dich nicht ansehe. Und jetzt sitzt du da und schaust die blöden Pokémons, während du mit mir redest.«
    »Ich hebe dein Kinn, weil du mir sonst auf die Titten starrst.«
    Einen Moment lang war es still. Dann seufzte sie laut. »Ray, das vorhin tut mir leid. Ich hätte das nicht tun dürfen. Geh bitte nach Hause. Morgen trinken wir eine Tasse Kaffee, und alles ist so wie immer.«
    »Nein.«
    Rosita drehte ihren Oberkörper zu mir, so dass Anna sich nicht mehr anlehnen konnte und beinahe umfiel. Ihre Augen durchbohrten meine. »Augen sind der Spiegel der Seele.« Auch das hatte Margreet immer gesagt. Aber ich sah keine Seele. Nur ein stumpfes Braun.
    Blickkontakt war immer ein Problem für mich gewesen,
aber an jenem Tag hätte ich stundenlang durchhalten können. Vielleicht dauerte es auch Stunden.
    Ich gewann.
    »Ganz wie du willst. Dann steh halt weiter da rum.« Rosita wandte sich wieder dem Fernseher zu und stellte den Ton lauter.
    Ich hielt mir die Ohren zu. Die Piepstimmen von Pikischeißhatschu und seinen Freunden machten mich wahnsinnig, genauso wie die

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