Blutige Asche Roman
mehrere Wochen nichts. Als sie schließlich wiederkam, war der Garten fertig, und sie fand mich wie immer am Küchenfenster hinter dem dunkelroten Vorhang vor. Ich wusste nicht recht, ob ich mich freute, sie zu sehen.
Meine Mutter kam herein, legte eine neue Tischdecke auf, arrangierte die Kissen auf dem Sofa und stellte eine Pflanze um. Anschließend wollte sie Tee trinken. Hätte ich gewusst, dass sie kommt, hätte ich tartelettes mitgenommen. Das Einzige, was ich ihr jetzt anbieten konnte, war eine Brioche vom Vortag. Ich bestrich das Gebäckstück mit Frischkäse und wartete auf ihre Reaktion.
Sie nahm einen Bissen und kaute, ohne die Miene zu verziehen. »Die Frau tut dir nicht gut«, sagte meine Mutter mit vollem Mund. »Die benutzt dich nur. Sie macht dich kirre, saugt dich aus und lässt dich fallen. Und dann flippst du aus und musst die Folgen tragen. Merkst du das denn nicht?«
»Aber wir sind beinahe eine Familie.«
»Ich bin deine Familie. Verstehst du das, Ray? Ich bin deine Familie und sonst niemand.«
»Aber du hast mich im Stich gelassen.« Es war das allererste Mal, dass ich so etwas zu meiner Mutter sagte.
»Wie bitte?« Sie verstummte, und ihr Gesicht wurde rot. »Das darfst du nie mehr sagen. Warum wäre ich sonst hier? Ich bin doch immer noch da?« Eine Träne lief über ihre Wange. »Ich liebe dich, Ray. Vergiss nicht, dass ich die Einzige bin, die dich wirklich liebt.«
Während ich auf Rositas unterster Treppenstufe stand und mir die Ohren zuhielt, ohne wirklich zu wissen warum, fragte ich mich, ob meine Mutter vielleicht doch Recht gehabt hatte.
Ich betrachtete Rositas reglosen Hinterkopf, die sich inzwischen wieder irgendeine blöde Talkshow ansah, und verspürte den Wunsch, ihr wehzutun. Ich dachte wieder an Margreets Worte. Hör auf dein Gefühl. Aber ich wusste, dass man niemandem wehtun durfte. Ich bin vielleicht nicht normal, aber verrückt bin ich nicht.
Ich nahm die Hände von den Ohren und sagte: »Ich muss die Fische versorgen.«
Niemand antwortete, also ging ich einfach. Ich machte die Tür nicht hinter mir zu. Das konnte sie selbst machen.
37
»Wusstest du, dass Rosita Millionärin wäre, wenn sie noch leben würde?«
Meine Mutter stand in der Küche und bereitete einen Auflauf zu. Aron saß auf dem Sofa, über dem natürlich wieder eine Decke lag, und betrachtete das Aquarium. Aus Utrecht war inzwischen der Bericht gekommen, dass King Kongs und Hannibals Tod von einem bislang unbekannten Organismus verursacht worden sei. Bald würde jemand kommen, um Wasserproben zu entnehmen und sich die anderen Fische anzusehen. Anscheinend sorgte der Tod zweier Fische für ziemlich großes Aufsehen in der Fischheilkunde.
Meine Mutter reagierte nicht auf meine Bemerkung. Fanatisch schnitt sie gekochte Kartoffeln in Scheiben, um sie anschließend abwechselnd mit Auberginen und Tomatensoße in die Glasform zu schichten. Dieses Gericht kochte sie regelmäßig. Es erinnerte an Moussaka, obwohl meine Mutter die Ähnlichkeit mit einer Vehemenz leugnete, die dem Thema völlig unangemessen war.
»Anscheinend hatte Rositas Mutter einen Onkel in England, der in der wunderbaren Welt der Hühnerschlachtung ein Vermögen verdient hat. Er hat Rosita zwei Millionen Pfund hinterlassen.«
»Was für ein Pech aber auch«, sagte meine Mutter gereizt. »Können wir bitte das Thema wechseln?«
»Nein, warum?«
Meine Mutter streute mit einer heftigen Geste Reibkäse in die Form.
»Mit dem Thema sind wir noch lange nicht fertig«, fuhr ich fort. »Ich habe gerade erst mit dem Fall angefangen, und schon stoße ich auf einen wichtigen Hinweis nach dem anderen. Weißt du, wer jetzt Rositas zwei Millionen erbt? Dreimal darfst du raten.«
Meine Mutter schob die Form in den Ofen und knallte die Tür zu. »Ich habe weder Lust auf Ratespielchen noch auf dieses Gespräch.«
»Ihr Stiefvater. Normalerweise hätte Anna, ihre Tochter, alles geerbt. Aber die lebt auch nicht mehr. Der nächste gesetzliche Erbe wäre Rositas Mutter. Auch tot. Wer bleibt also übrig? Rositas Stiefvater. Er war ohne Gütertrennung mit ihrer Mutter verheiratet und hat deshalb Anrecht auf ihr Vermögen. Ta-ta!«
»Dann heirate ihn doch.«
»Er ist eher in deinem Alter, Mam. Ich will damit nur sagen, dass es Menschen gibt, die ein Interesse an Rositas Tod hatten. Obwohl es zugegebenermaßen ziemlich unwahrscheinlich ist, dass Ray den Mord nicht begangen hat, finde ich schon, dass wir es ihm schuldig sind, den Fall zu
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